»Wir können unseren Wahrnehmungsapparat sensibilisieren«

AnA Maria Rodriguez über »The Frequency of Flowers«

30. August 2023 | Laura Kunkel

AnA Maria Rodriguez von Uwe Walter
©Uwe Walter

Blumen reagieren auf die Flügelvibration der Bienen mit einer erhöhten Zuckerkonzentration in der Nektarproduktion. Pflanzen hören also ohne Ohren. Fasziniert von dieser Erkenntnis der Evolutionsbiologin Lilach Hadany nimmt AnA Maria Rodriguez die akustische Beziehung zwischen Bestäuberinnen und Blumen als Modell für eine intakte Kommunikation, die in unserer Gesellschaft oft verloren gegangen ist. Am 16. und 17. September präsentiert die Künstlerin in KNM’s Garage 51 der Fahrbereitschaft mit »The Frequency of Flowers« eine Klanginstallation zwischen Technik und Natur. Im Gespräch mit Laura Kunkel erzählt Rodriguez, warum die Natur im Hinblick auf Empathie, Resonanz und Wahrnehmung ein Vorbild sein sollte. 

Aus deiner Biografie geht hervor, dass du seit 2004 als Laptop-Spielerin tätig bist. Wie sieht dein genauer Arbeitsprozess aus?

Der ist ganz unterschiedlich und hängt vom jeweiligen Projekt ab. Viele meiner Projekte haben mit Spatialisierung zu tun, also mit der Platzierung und Modifizierung von Lautsprechern im Raum durch Live-Elektronik. Man könnte auch von Konzertinstallationen sprechen. Dann gab es eine Zeit, in der ich viel mit Improvisator*innen gespielt habe. Als ich nach Berlin kam, habe ich den Trompeter Axel Dörner kennengelernt und war sehr begeistert von ihm. Während dieser Zusammenarbeit habe ich meine Live-Elektronik weiterentwickelt und mich viel mit Klangfarbe und Klangsynthese beschäftigt. 

Stichwort Improvisation: Welche Rolle spielt das Zusammenspiel von Improvisationen und ausformulierten Partituren in deiner Arbeit?

Die meisten meiner Projekte entstehen ohne ein konkretes Konzept, nur mit einer vagen Idee. Erst dann entwickle ich eine Strategie, um diese Idee zu realisieren. Das kann unterschiedliche Formen annehmen. Manchmal bestehen die Partituren aus festen Teilen, nach denen sich die Spieler*innen genau richten muss, und einige Teile sind offener. Manchmal gibt es Stücke, bei denen ich nur bestimmte Parameter kontrollieren möchte, wie zum Beispiel Frequenzen oder die Klangfarbe. Dann lasse ich andere Parameter frei, die von den Instrumentalist*innen übernommen werden. Bei dem Stück »Silver«, uraufgeführt im radialsystem, interessierte mich beispielsweise nur die Zusammensetzung von Frequenzen und Tempo.

Nach deinen Installationen »In nature alone are forms« oder »Slow meditation frequencies« findet nun auch »The Frequency of Flowers« in den Räumlichkeiten der Fahrbereitschaft statt, genauer gesagt in der Garage 51, der Probenresidenz des KNM Berlin. Was macht diese Location so einzigartig für deine Vorhaben?

Mich interessiert die Verbindung mit der Bildenden Kunst sehr. Die Räumlichkeiten bieten interessante Möglichkeiten, die ein traditioneller Konzertsaal so nicht hergibt. Der experimentelle Aspekt wird hier stärker betont. Als ich in den neunziger Jahren von Köln nach Berlin kam, gab es hier diese Bewegung, die viel Veränderung mit sich brachte. Durch den Verkauf hielten sich Räume oft nicht sehr lange und waren immer wieder Transformationen unterzogen. Diese Art der ewigen Transition hat mich an Berlin sehr fasziniert. Die Räume der Fahrbereitschaft erinnern an diese Zeit und bieten eine gewisse Gestaltungsfreiheit.

Außergewöhnliche architektonische Strukturen von Ausstellungsräumen erlauben dir also mehr Entfaltungsmöglichkeiten.

Ja, ich finde das sehr anregend. Das Projekt »In nature alone are forms« war so ein Punkt, an dem ich mehrere Facetten entwickelt habe. Ich hatte damals die Möglichkeit, das Projekt im Casa del Lago in Mexiko zu präsentieren. Dort gibt es einen wunderbaren Park, wo wir die Installation an der freien Luft mit mehreren Gongs präsentiert haben. Ich passe die Präsentationsformen demnach auch gerne an die jeweilige Umgebung an.

Du beziehst oft Gongs in deine Arbeiten mit ein, auch dieses Mal bei »The Frequency of Flowers«. Einerseits können diese eine sehr kräftige und eindringliche Wirkung erzeugen, auf der anderen Seite aber auch sehr sanft und meditativ klingen. Welche Bedeutung hat der Klangkörper in deinen Werken?

Das ist eine Erfahrung, die mich körperlich überwältigt. Der Gong ist ein Medium an der Schnittstelle zwischen Lautsprecher, Instrument und physikalischer Entität. Das trifft mich sehr in meiner Wahrnehmung. Ich benutze die Gongs in der aktuellen Installation als akustische Quelle, die sich sehr stark von meiner Erfahrung mit Elektronik und Lautsprechern unterscheidet. Im Gegensatz zu meiner bisherigen Vorgehensweise geht es nun mehr um kleine, lokale Beschallung.


Der Klang der Natur beschäftigt dich schon eine Weile. Wie unterscheidet sich »The Frequency of Flowers« von deinen bisherigen Projekten?

Mich interessiert mit diesem Projekt die Art von Kommunikation zwischen Lebewesen und ihrer Umgebung, in dem Fall Pflanzen und Blumen. Insekten bilden interessante Communitys, die kollektiv und sehr intelligent arbeiten. Dadurch entstehen komplexe Interrelationen, die viele Perspektiven bieten. Ein Teil der Installation ist eine metaphorische Interpretation dieses Konzepts. Eine Reihe von Gongs wird die Rolle der Blumen und der Bienen übernehmen. Dazu kommt der Faktor der Atmosphäre. Wind spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle für die Kommunikation selbst. Der erzeugte Effekt hat einen Einfluss auf die Pflanzen und Bienen, aber auch auf die Akustik. Der Sound und die Bewegung innerhalb des Environments sind wie eine Lautsprecherbewegung. Die Videoarbeiten visualisieren auf einer zusätzlichen Ebene die Kommunikationsprozesse zwischen Bienen und ihrer Umwelt, den Blumen und dem Wind. Quasi eine natürliche Spatialisierung.

Was können wir also konkret von der Natur in Sachen Kommunikation lernen? 

Wir können unseren Wahrnehmungsapparat verfeinern und sensibilisieren. Dazu gehört auch, den Körper in Bezug zur Umwelt und zu einem urbanen Kontext zu reflektieren – diese Art Schock oder Perturbation zwischen dem urbanen Kontext und der Natur. Ich frage mich in meinen Arbeiten auch oft, wie man die Geräusche des Verkehrs oder Umweltverschmutzung künstlerisch einfangen und darstellen kann, um weiter darüber nachzudenken.

Die technologische Entwicklung lässt den Eindruck entstehen, dass wir als Menschen mittlerweile den Bezug zur Natur vollkommen verloren haben. Sogenannte Künstliche Intelligenz generiert heutzutage Bilder, wissenschaftliche Arbeiten und plant Urlaubsreisen. Aber sie wird auch eingesetzt bei Themen wie Recycling oder der Optimierung von ressourcenschonenden Prozessen. Siehst du diese Entwicklung als Segen oder Fluch?

Ich glaube, das wird sich in Zukunft immer weiterentwickeln und viele Konsequenzen mit sich bringen. Aber es ist auch ein neues Feld, das sich uns eröffnet, und es liegt an uns, ob wir daraus etwas Positives oder eher Destruktives ziehen. 

Inwiefern kann Kunst als Medium dienen, um wieder mehr Empathie und Resonanz in die Gesellschaft zu bringen?

Vieles ist momentan sehr destruktiv, nicht nur menschliche, sondern auch ökologische Katastrophen. Wir können solche Probleme über die Kunst signalisieren, aber ich weiß nicht, ob die Menschen wirklich rezeptiv genug sind. Ich sehe da momentan eher negative Entwicklungen. Es gibt zwar Gegenbewegungen, Proteste und sehr radikale Reaktionen, aber was zum Beispiel den ökologischen Aspekt im Krieg angeht, diese riesige ökologische Katastrophe, die auf uns zukommt, darüber wird kaum gesprochen. Das betrifft nicht nur die Ukraine, sondern auch Afrika und Jemen, all diese Länder, die sich in Kriegssituationen befinden. In dieser Dimension betrachtet bleibt der Einfluss der Kunstwelt »mini-mini-minimalissimo«.

Es hilft sicherlich, diese Themen für eine größere Öffentlichkeit sichtbar zu machen.

Natürlich, aber man muss sich auch darüber bewusst sein, dass durch die Kunst allein leider keine großen Veränderungen hervorgerufen werden.

Kunst findet zunehmend im Kollektiv statt, und auch du arbeitest häufig mit Künstler*innen verschiedener Genres zusammen. Wie beeinflusst dich dieser Austausch privat und auf künstlerischer Ebene?

Der Austausch mit Menschen ist immer wieder eine Bereicherung. Ich sammle dadurch neue Erfahrungen und lerne andere Perspektiven kennen. Durch den Dialog kann man gemeinsam neue Ideen entwickeln. In Zusammenarbeit mit Tänzer*innen zum Beispiel finde ich interessant, wie diese den Sound rezipieren und damit umgehen. Ganz anders als wir Musiker*innen.

Was erhoffst du dir von den Besucher*innen, nachdem sie deine Installation besucht haben?

Ich stelle mich ungern an die Stelle des Publikums. Jeder Mensch ist individuell. Ich finde es interessant zu beobachten, wie die Menschen auf Klanginstallationen oder andere Ausstellungssituationen reagieren. Manche bleiben minutenlang stehen, hören und betrachten minutiös, und andere gehen einfach vorbei. Ich beobachte also lieber, wie die anderen beobachten.

Tickets für die beiden Aufführungen von »The Frequency of Flowers« am 16. und 17. September in der KNM's Garage 51 sind unter der Emailadresse ticket@kammerensemble.de erhältlich.

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