Future Soundscapes Festival 2023

Die Möglichkeiten der Verbindung

2. Oktober 2023 | Celeste Dittberner

Future Soundscapes Festival 2023 von Andrea Vollmer
©Andrea Vollmer

Das Future Soundscapes Festival war einer der zahlreichen Höhepunkte des diesjährigen Monats der zeitgenössischen Musik. An zwei aufeinander folgenden Abenden bot es mit installativer Kunst und von Visuals begleiteter Musik einen faszinierenden Einblick in die Welt des technologischen Fortschritts und der audiovisuellen Innovation. Celeste Dittberner war für field notes vor Ort.

Schon ab 19 Uhr finden sich die ersten Besucher*innen auf dem Gelände des silent green Kulturquartier in Berlin-Wedding ein. Sie verweilen an den Tischen im Garten vor dem hauseigenen Mars-Kiosk, um ein gleichnamiges Bier zu trinken, und begeben sich anschließend über den gepflasterten Weg in Richtung Kuppelhalle.

Die dient ein Wochenende lang als Herberge der Soundinstallation »Sounds of Space« von Simone Aubert. Ihr Leitgedanke: Wichtiger als die Sehkraft ist im Alltag unser Hörvermögen für unseren Alltag: Nur dadurch, dass Geräusche von Objekten reflektiert werden, wissen wir, wie Dinge um uns herum geformt sind. Oftmals vergessen wir jedoch das Zusammenspiel unseres Körpers mit seiner Umgebung. 

Für die oktophone Installation arbeitete Aubert mit auf unterschiedlichen Planeten und insbesondere vom Rover Perseverance auf dem Mars angefertigten Aufnahmen. Fünf dieser im Weltraum aufgezeichnete Klanglandschaften und eine Stimme bilden die Grundlage ihrer Komposition, die die verlorene Verbindung zwischen Raum und Körper wiederherstellen soll.

Die dunkle Kuppelhalle im Erdgeschoss empfängt Neuankömmlinge mit einer zwanglosen Atmosphäre. Die meisten Zuhörer*innen liegen im Kreis um einen der acht Lautsprecher, der von der Decke hängend in der in der Mitte des Raumes positioniert ist. Ihre Augen sind geschlossen. Trotz der Kälte des nackten Steinbodens wirken sie wie in Trance, überaus zufrieden. 

Um etwa 20 Uhr öffnen sich die Türen zur Betonhalle im Untergeschoss. Es geht einen langen Weg hinunter, der durch eine eindrucksvoll-düstere Lichtinstallation in Szene gesetzt ist. Scheinwerfer in zurückhaltenden Farben, Nebelmaschinen und ein schimmernder Vorhang, der in verschiedenen Farbtönen reflektiert, verwandeln den Gang in ein infernalisches Lichtspektakel. Die einzigen sichtbaren Elemente sind die Silhouetten anderer Besucher*innen. 

Den unteren Teil des Gebäudes erreicht, lockt bereits die mächtige Klanggewalt von Hannan Jones' & Shamica Ruddocks »Re-imagining in Conversation« viele Besucher*innen in einen kleinen Raum neben der Bar – das Duo spielt nicht in der Betonhalle und eröffnet das Festival damit auf seine ganz eigene Weise. Dichter Nebel schlängelt sich durch das Publikum und sucht sich einen Weg hinaus in den Gang.

Die davon erschaffene mystische Atmosphäre unterstreicht die Performance, erschwert im extrem überfüllten Raum allerdings auch die Sicht. Immer mehr Menschen drängen sich in den Türbogen und versuchen, doch einen kurzen Blick zu erhaschen – vergeblich. Es gilt also nun akustisch nach der versprochenen Hybridität durch Sprache, Rhythmus und Psychogeografie zu suchen. Themen, mit denen sich die beiden Künstlerinnen neben denen der Relevanz von Flüchtigkeit und der Verweigerung innerhalb ihrer Forschung auseinandersetzen. 

Das Duo erkundet und erweitert zahlreiche sich überlappende und voneinander abweichende Themen durch klangliche und visuelle Improvisation. Dabei prasseln düstere Drone-Klänge auf einem unregelmäßig pulsierenden Rhythmus nieder, und verschwinden aber ebenso rasch, wie sie aufgetaucht sind. Leider lässt die Soundqualität zwischen Tür und Angel dann doch irgendwann so stark zu wünschen übrig, dass die meisten Besucher*innen schon bald in die Betonhalle weiterziehen, um einen ersten Blick in den Raum zu werfen. 

Dort finden noch Vorbereitungen für die anschließenden Konzerte von Bruce, upsammy + Jonathan Castro sowie Zoë Mc Pherson und Alessandra Leone statt. Im Hintergrund läuft das Album »Nachthorn« von Maxime Denuc, das den gesamten Abend begleiten wird, um die Umbauphasen auditiv zu füllen. Passend, da der Klang von Denucs MIDI-gesteuerten Orgel genau das repräsentiert, was das Festival zeigen möchte: die Zukunft und die Möglichkeiten der Verbindung von analoger und digitaler Produktion in der elektronischen Musik.

Eine halbe Stunde später betritt als erster Live-Act in der Betonhalle Bruce alias Larry McCarthy die Bühne. Der Brite präsentiert eine vollkommen neue Facette von sich. Nachdem er sich zuvor mit basslastiger Clubmusik einen Ruf gemacht hatte, zeigt er sich sowohl mit seinen neueren Veröffentlichungen auf dem Label Timedance als auch auf der Bühne von einer sehr emotionalen Seite und verwandelt seine Gefühle in kunstvoll verschachtelte Elektro-Pop-Tracks.

Nach seinem ersten Song ergreift er das Mikrofon und erklärt, dass mit dem Gefühl Liebe viel mehr einhergehe als nur Schmerz oder Glück. Er versuche, alle Tendenzen einzufangen und innerhalb seiner Musik zu verarbeiten, zum Ausdruck zu bringen. Und das gelingt: Besonders überzeugend sind dabei nicht nur seine perfekt auf den Rhythmus abgestimmten Bewegungen, sondern in erster Linie der Einsatz seiner kraftvollen und gleichzeitig so wahnsinnig hauchzarten Stimme, die in seinen vorigen Produktionen nur selten bis nie zum Einsatz kam.

Auch am zweiten Tag von Future Soundscapes wird die Stimme in den Fokus gerückt. Die dänische Ambient-Künstlerin Sofie Birch spielt mit ASMR-Aufnahmen tropfender Wasserperlen, flüsternder Windspiele und klingender Metallophone auf melodisch-verträumten Piano-Arrangements. Sie setzt ihre Stimme als Instrument ein, das sich bewusst zurückhaltend in diese Komposition integriert.

Birch evoziert Sehnsucht, allerdings weniger auf eine melancholische, sondern vielmehr auf äußerst zufriedene Art und Weise. Viele Besucher*innen haben es sich mit geschlossenen Augenlidern auf der Tribüne bequem gemacht, andere haben sich an eine freie Wand auf dem Boden angelehnt. Alle sind sichtlich berührt und lassen sich für eine Stunde in eine sphärische Traumwelt fernab von Raum und Zeit entführen.

Das Gegenstück dazu bietet die Performances von Klara Lewis und Nik Colk Void in Zusammenarbeit mit Pedro Maia. Kraftvoll, lautstark und eindringlich füllt das audiovisuelle Kooperationsprojekt die Betonhalle vom ersten Ton an mit Klang und Licht. Inspiriert von der Live-Visuals von Maias analogen 16-mm-Film-Bearbeitungen erschaffen die beiden Musikerinnen mit dem Einsatz von Modular-Systemen und Vocals ein abwechslungsreiches Ganzes, dessen Duktus von Noise-Elementen, New-Wave-, Post-Punk- und Pop-Einflüssen geprägt ist.

Ähnlich wie Bruce widmet sich der Elektronikmusiker Markus Popp mit seiner neuesten Oval-Veröffentlichung dem Thema der Romantik, wählt dabei jedoch einen komplett anderen Ansatz. Denn Popp thematisiert nicht die Romantik als Gefühl – vielmehr geht es ihm um die gleichnamige Epoche und einer Neuinterpretation derselben. Seine Show wird von einer von Schatten und Abstraktion geprägten Videoinstallation von Robert Seidel begleitet, mit der zusammen die Musik für »Romantiq« als Klanginstallation zur Eröffnung des Deutsches Romantik-Museum konzipiert hatte.

Popps Neo-Kammermusik klingt warm und zart, die Töne erinnern an ein leichtes Xylofonspiel oder das Zupfen von Harfensaiten. Und doch entsteht hier alles mit neuester Technologie. Der Künstler selbst verschmilzt auf wundersame Weise mit der Software – als eine Einheit, in der ein Part ohne den anderen so wohl nicht funktionieren könnte, wie auch Bild und Musik beständig ineinander greifen und miteinander verfließen. Das ist tatsächlich: sehr romantisch.

Popps Auftritt ist das letzte Set eines sorgfältig kuratierten Festivals, das sich mit den Themen der Multimedialität und Hybridität, dem Raum und der Zeit sowie der Romantik und Sehnsucht beschäftigt. Mit Hinsicht auf den technologischen Fortschritt durch Sound fokussiert es sich so auf die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Über diese zwei Tage hinweg erweist sich dann auch, wie die Neugestaltung der Vergangenheit durch multimediale Transformationen greifbar und für die Gestaltung der Zukunft urbar gemacht werden kann. Trotz mancher düsteren Untertöne wird die als zart und leicht imaginiert.

  • Bericht
  • Monat der zeitgenössischen Musik
  • Silent Green

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