LABOR SONOR mit Maikon K, VanProject und Rabih Beaini

Die Kraft der Kontraste

2. Oktober 2023 | Philipp Gschwendtner

VanProject beim LABOR SONOR 2023 von Dafne Narvaez
©Dafne Narvaez

Seit dem Jahr 2000 ist die etwa zweimonatlich stattfindende Veranstaltung LABOR SONOR eine kleine Institution im Berliner Kulturbetrieb. Die vierte Ausgabe dieses Jahres ging während des Monats der zeitgenössischen Musik während einer lauen Spätsommernacht über die Bühne und beinhaltete drei rund 20-minütige Performances mit ausreichend langen Pausen, um das zuvor Erlebte Revue passieren zu lassen. Philipp Gschwendtner war für field notes vor Ort.

Mit spartanischem Bühnenbild eröffnet der Performance-Künstler Maikon K den Abend. Er sitzt schwarz gekleidet auf einem Stuhl in der Mitte des Raumes, beleuchtet von einem Lichtkegel, der seinen Kopf als einzig hellen Punkt im Dunkel der Bühne schweben lässt. Unterstützt wird er bei dieser Performance von Kupalua, die vom Bühnenrand Sound zuspielt. Ein Mantra-ähnlicher Gesang erklingt, der durch Reverb und Vibrato stellenweise die Textur eines Didgeridoo erhält. Als sich ein Knistern wie das eines Kaminfeuers unter die Stimme mischt, fällt auf, dass um Maikon K herum Rauch aufzusteigen scheint, der bei genauerem Hinsehen aus seinem Hemd entweicht. 

Die Darstellung der symbolisch innerlich verbrennenden Figur hinterlässt viele Fragen und ist genau deshalb so überzeugend. Feuer – hier wird es in seiner sekundären Wirkung in Form von Klang und Rauch dargestellt – kann zerstören und reinigen, steht für Wut genauso wie für Leidenschaft. In seiner Darstellung internalisiert Maikon K den Brandherd, wodurch er das in der Kunst allgegenwärtige Motiv Feuer in origineller Weise auf innere emotionale und psychische Konflikte bezieht. Worin diese genau bestehen, bleibt aufgrund des reduzierten Bühnenbilds für Interpretation offen, was die Darstellung maximal effektvoll macht.

Auch der zweite Akt beginnt mit einer dunklen Bühne, auf der sich bald zwei ineinander verhakte Personen in einer langsamen Choreografie kreisend bewegen. Das VanProject ist eine Kollaboration der beiden in der Schweiz beheimateten Künstlerinnen Cris Arcos Cano und Maria Muñoz López. Ihr Stück »cīvitās« behandelt die zunehmende Verdrängung der Natur durch den Wachstum von Städten und dem sozialen Netz, das sich innerhalb derer stetig entwickelt.

Die grundlegende Erzählung entfaltet sich in Sätzen, die Wort für Wort hinter die beiden Darstellerinnen projiziert werden. In nüchterner Poesie werden Verbindungen beschrieben, die bei jeder kleinen Berührung, jedem kurzen Blick auf der Straße oder in der U-Bahn entstehen. Die meisten davon sind flüchtig, doch wohnt jeder von ihnen das Potential inne, ein Leben plötzlich in andere Bahnen zu lenken. 

Ein einprägsamer Moment entsteht, als die beiden nach der ersten, sehr ruhigen Sequenz vor einer Leuchtstoffröhre kniend zu hyperventilieren beginnen. Ihre Körper sind grell und kalt erleuchtet, ihre Atmung kommuniziert Panik, dem entgegengesetzt erklingen aus den Lautsprechern die beruhigenden Töne einer Spieluhr. Die inhärente Kraft dieses Kontrasts kann die restliche Vorstellung aber leider nicht immer aufrechterhalten.

Der letzte Künstler des Abends ist Rabih Beaini, als Betreiber des Labels Morphine und dem im Jahr 2020 eröffneten Morphine Raum ein wichtiger Bestandteil der Berliner Musiklandschaft zwischen Clubkultur und zeitgenössischer Musik. An diesem Abend präsentiert er sein Werk »Clutch, Cable, Instrument, Voice«, in dem er mittels Gitarrenverstärker, Mikrofonen und einigen Effektgeräten einen dichten Drone-Feedback-Loop entstehen lässt.  Mit den Reglern der Effektgeräte bringt er die Schaltung abwechselnd zum Singen, zum Zwitschern oder Kreischen. 

Dazu spielt Beaini ein selbstgebautes Instrument, das in seiner Bauart an eine Ektara erinnert und im Wesentlichen aus einer einzelnen Saite und einem Tonabnehmer besteht. Zunächst liegt es vor ihm auf dem Tisch, später spielt er es gezupft oder mit Bogen senkrecht vor der Brust gehalten, wobei sich mit der Position auf der Bühne der Klang verändert. 

Das Ergebnis ist ein Bett aus Schwingung, das sich im Saal ausbreitet und durch die hohe Schallenergie zum regelrecht körperlichen Erlebnis wird. Jedes Geräusch bleibt hörbar präsent, bis sich die Spur irgendwann ins Unkenntliche verwischt. Wenn Beaini die Saite zupft oder ins Mikrofon singt, lösen sich die Worte sofort im Sog des Loops, der gleichzeitig vorwärts und rückwärts zu fließen scheint.

Nach diesem eindrucksvollen Klangexperiment bewegt sich das Publikum des gut gefüllten Saals angeregt diskutierend hinaus in die noch immer angenehm warmen Abend. Alle drei Programmpunkte zeigen sich ob ihrer überschaubaren Länge dramaturgisch sehr fokussiert und durch die Kombination dreier sehr verschiedener Herangehensweisen entsteht ein vielseitiges und kontrastreiches Erlebnis. Neben den einzelnen Künstler*innen ist das dem Gespür für die Kuration solcher Abende zu verdanken, das sich durch die beständige Arbeit über 20 Jahre gebildet hat.

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  • LABOR SONOR
  • Monat der zeitgenössischen Musik
  • Rabih Beaini
  • Maikon K
  • VanProject
  • Ballhaus Ost
  • Morphine Raum

Zum Weiterlesen

Eine Klangperformance mit einer Person draussen im Hof der Akademie der Künste, die Person trägt Badeanzug und eine Maske und spielt ein Instrument

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