Zum damaligen Zeitpunkt bestimmte ihr Leben noch eine andere Leidenschaft, der sie in ihrer Freizeit mit Hingabe nachging: Mode. Sie nähte ihre Kleidung selbst, machte Praktika bei Designer*innen und arbeitete auf den Fashion Weeks. »Das wusste auch jeder. Es war meine Identität.« Mit 16 Jahren bewarb sie sich an der Universität der Künste für ein Studium im Fach Modedesign – doch bereits in der ersten Bewerbungsrunde schied sie aus. »Ich wusste gar nicht, was mir geschah und was ich jetzt machen soll.« Aus der Not heraus entschloss sie, stattdessen BWL zu studieren.
Währenddessen begann Straub, ihre ersten eigenen Songs als MERIT zu schreiben. Plötzlich wird sie ruhiger, wirkt nach innen gekehrt. Sie räuspert sich ein wenig und richtet ihren Blick auf den Tisch. »Ich habe das versteckt. Ich habe die Texte, die ich geschrieben habe, extra so hingekritzelt, teilweise sogar kryptisch geschrieben, dass niemand es verstehen und lesen kann. Auch die Noten habe ich verschlüsselt aufgeschrieben. Es war mir so heilig und privat, dass ich dachte, es darf niemals jemand hören.« Zu dem Zeitpunkt steckte sie in einer schwierigen Lebensphase und selbst in diesem Moment, einige Jahre später, spüre ich den großen Einfluss, den dieser Zeitraum auf sie als Person und ihr musikalisches Schaffen hatte.
Zeitgleich wurde Straubs Drang zur Veräußerung immer größer und sie begann Gesangsunterricht zu nehmen. Dabei ging es zunächst darum, das Vertrauen in sich selbst zu stärken. »Die Stimme und die Psyche sind stark miteinander vernetzt. An Tagen, an denen es mir gut geht, treffe ich Töne, die ich in meinem Leben noch nicht getroffen habe. Die waren aber die ganze Zeit schon da. Die waren nur versteckt von einem Schleier an Gefühlen und Emotionen.« Der Prozess des Sichzeigens und Gehörtwerdens spiegelt sich auch in ihrer Musik wider.
Zwischen Kapstadt und Berlin
Das Schreiben von Musik stellt für Straub einen kathartischen Prozess dar. »Es bedeutet, im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimme zu finden und sich eine Stimme zu geben für Dinge, die man sonst nicht sagen kann. Und auf eine Art und Weise geht es auch darum, dass das Gehör findet und dass Leute sich damit identifizieren können.« Inspiration schöpft sie dabei aus der Auseinandersetzung mit der eigenen Gefühlswelt. »Meine Ideen entspringen zumeist aus Fetzen, die ich in meinen Notizen sammle oder mir per Sprachnachricht schicke. Es sind mittlerweile Tausende.«
Das macht ihr Songs wiederum zu Dokumenten ihrer persönlichen Entwicklung. Während in »Fata Morgana« Fragen nach der eigenen Identität und das Anpassungsverhalten gegenüber anderen im Vordergrund stehen, geht es in »Sad Boy Savior« um die bewusste Entscheidung, seine Energie für sich zu behalten, anstatt sie in die Rettung anderer zu investieren.
In den vergangenen Monaten lebte und arbeitete Straub in Kapstadt. Inmitten der überwältigenden Landschaft Südafrikas wurden Themen wie Natur und Spiritualität präsenter. Das hatte auch Einfluss auf ihre Musik und die Themen, die sie darin behandelt. »Es entwickelt sich mittlerweile mehr nach außen. Meine innere Gefühlswelt steht nicht mehr im Vordergrund. Ich habe mittlerweile meine Stimme gefunden, aus der ich schöpfen kann. Es geht mehr um den Austausch zwischen mir und meiner Umwelt.«