Konrad Bogen

Im Einklang mit der Technologie

17. Juli 2023 | Laura Kunkel

Konrad Bogen
©Konrad Bogen

An der Schnittstelle zwischen Musik und Künstlicher Intelligenz sucht der Jazz-Pianist Konrad Bogen nach Lösungen für die globalen Herausforderungen unserer Zeit. Ein Portrait von Laura Kunkel.

An einem verregneten Tag Mitte Mai betritt Konrad Bogen die Bühne des Konzertsaals der Universität der Künste und von einem »Weißen Regen« wird wenige Momente später auch Zuza Jasinska singen. Bogen, der die Texte für sein gemeinsames Projekt mit der Sängerin unter dem Namen THE&& schreibt, begleitet sie am Klavier.  Am Instrument fühlt er sich sicher, die Bühne ist sein Zuhause. Nervös scheint er dennoch, als er dem Publikum seinen unkonventionellen Schaffensprozess beschreibt: Mithilfe einer eigens entwickelten Software werden immer neue musikalische Improvisationen generiert und notiert, die er auf seinen Konzerten dann vom Blatt spielt.

Zwei Wochen später treffe ich Bogen in einem kleinen Café in Berlin-Charlottenburg wieder. Er erzählt von seinen Anfängen als heranwachsender Spieleentwickler, Klischees über Jazz-Musiker*innen und die Gefahren von Künstlicher Intelligenz. Interviews zu geben sei ihm immer noch etwas fremd: »Als Musiker ist man es gewohnt, Sachen nonverbal auszudrücken.« Während des Gesprächs wird er öfter auf das Aufnahmegerät schielen und erzählen, dass er im Nachhinein oft kritisch über bestimmte Formulierungen nachdenke, die er geäußert hat. »Ich bin auch ein bisschen perfektionistisch«, gesteht er. 


Gleichzeitig schmunzelt Bogen darüber, dass Freunde ihn nach einem Solokonzert einmal auf die Wahl seines Schuhwerks, Wanderstiefel, angesprochen haben. »Ich brauche solche Gesten wie Krawatten eigentlich gar nicht. Ich mache mit dem ganzen Computerkram so viel unkonventionelles Zeug, dass ich über jeden Punkt froh bin, wo ich genauso bin wie alle anderen.« Dabei haben nicht viele das Glück, Shows von Künstler*innen wie Norah Jones oder Jamie Cullum zu eröffnen, Clueso bei Konzerten am Klavier zu begleiten oder von Jazz-Größen wie Pee Wee Ellis oder Paul Brody höchstpersönlich gelobt zu werden. Wie könnte all das noch getoppt werden? Einmal mit seinen Idolen Kendrick Lamar oder Earth, Wind & Fire auf der Bühne zu stehen, natürlich. »Das wäre mein Lebenstraum!«

Geboren wurde Bogen in Konstanz, heute pendelt er zwischen Leipzig und Berlin, wenn er nicht gerade für ein Konzert nach New York, Israel oder Portugal reist. Das Motiv der Durchreise und des ständigen Übergangs verarbeitet er in seinem ersten Album »Transit«. Es ging ihm darum, »zu reflektieren, wie ich diese vielen musikalischen Anteile, mit denen ich auch aufgewachsen bin, verbinden kann. Die Idee dahinter war der Transitbereich im Flughafen, ein Ort zwischen den Welten.« Wenn er heute das Album hört, erinnert er sich wieder an den Druck von damals. Kein Kind mehr, aber auch noch nicht ganz erwachsen, stand er vor lebensverändernden Entscheidungen. 

Eine Datenbank aus Sprache und Klang

Bogen hat bereits als 11-Jähriger mit dem Programmieren begonnen und verdiente mit der Entwicklung von Computerspielen sein erstes Geld. Das Vorbild war der eigene Vater, Professor für Kunstgeschichte – und Spieleentwickler. Von ihm habe er gelernt, dass Scheitern ein wichtiger Prozess auf dem Weg zum Ziel ist, erzählt Bogen heute. Motiviert durch seinen damaligen Musiklehrer fokussierte er sich jedoch auf die Musik. Ein abgeschlossenes Klavierstudium und ein begonnenes Informatikstudium später realisierte er, dass er beide Leidenschaften miteinander verbinden könnte. 

So entstand Bogens aktuelles Software-Projekt »GRAF« erst als spaßiges Unterfangen im Freundeskreis, um die Verbindungen untereinander sichtbar machen zu können. »Eskaliert« sei das Ganze an dem Punkt, als Bogen auf die Idee kam, aus einem Pfad automatisch Musik erzeugen zu lassen. So bildete sich in einem Netzwerk aus Informatiker*innen und Musiker*innen eine Datenbank aus Sprache und Klang. »GRAF« wurde als Künstliche Intelligenz an diesen Daten trainiert und lernte, selbst zu improvisieren und Musik zu notieren, wie der Pianist sie heutzutage auf Konzerten spielt.

Viele dieser Stücke werden von Zuza Jasinskas sanfter Stimme getragen. Die in Polen geborene Sängerin bewegt sich stilistisch zwischen Jazz und Folk, covert Songs von Indie-Künstler*innen wie James Blake oder Adrienne Lenker. Sie war im Jahr 2018 nach Berlin gezogen, um am Jazz-Institut der UdK zu studieren. Dort haben sie und Bogen sich auch kennengelernt und seitdem eine enge Verbindung zueinander. »Jedes Mal, wenn wir etwas gemeinsam machen, ist das wie mit Beyoncé zu spielen. Sie ist die talentierteste Person, die ich kenne«, schwärmt Bogen, und man spürt diese Verbundenheit, wenn sich die beiden während des Auftritts lächelnd den Einsatz vorgeben. 

Sade und Bruno Latour

Bogen transportiert das Bild eines humorvollen Typen, der gewitzte Improvisationen auf Sades »Smooth Operator« über die Tastatur gleiten lässt und funky Kompositionen für große Bläserensembles arrangiert. Aber im Gespräch spüre ich auch, dass mir da eine sehr nachdenkliche, melancholische Person gegenübersitzt. Oft überlegt er genau, wie er sich ausdrückt – Sprache habe für ihn oft auch etwas Scharfes, das er nicht mag. Mit Musik könne er sich besser verständlich machen und Geschichten erzählen, wie die vom »Weißen Regen«. 

Ich frage ihn, was denn nun passiert, wenn er kommt, der weiße Regen. Und wo dieses mysteriöse blaue Dorf liegt, das in dem Lied besungen wird. Er nimmt den Faden auf: »Woher kommt der weiße Regen, was ist das für ein Dorf? Wo liegt es? Und wenn es da liegt, an welcher Küste segelt Smooth Operator? Mich interessiert, ob es nur eine Version gibt, diese Geschichte zu erzählen, oder viele.« Seine Musik kommt einer Suche nach Antworten auf die Fragen gleich, die sie im kompositorischen Prozess aufwirft. 

Inspiration für seine Lyrics zieht Bogen unter anderem aus Bruno Latours »Terrestrischem Manifest«, einer utopischen Annäherung an ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Erde. Die Zukunft der technologischen Entwicklung von Künstlicher Intelligenz sieht Bogen eher kritisch: »Künstliche Intelligenz stellt eine Zeitenwende dar, und wenn wir in so einem blauen Dorf leben, müssen wir uns überlegen, wie wir es schützen können.« Deshalb treibe ihn die Frage um, wie sich Technologie mehr in die ökologischen und sozialen Systeme integrieren lässt, sodass es nicht zu weiteren Polarisierungen und gesellschaftlichen Trennungen führt. 

»One day we will die and no one knows why« lautet eine nüchterne Zeile in dem von Bogen geschriebenen Lied »Strawberry Ice Cream«. Über die Vergänglichkeit menschlicher Existenz ist er sich sehr wohl bewusst. Wie aber die Menschheit im Einklang mit der Technik leben kann, das wird ihn auch in Zukunft beschäftigen. Bis dahin wird er wohl noch viel auf Reisen sein.

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