»Ich versuche nicht, etwas anders zu machen als zuvor«

Christian Wolff über »Metal and Breath«

11. August 2023 | Kristoffer Cornils

Christian Wolff at AngelicA Festival Bologna 2022 by Massimo Golfieri
©Massimo Golfieri

Wenn es einen Begriff gibt, mit dem der Name Christian Wolff am ehesten assoziiert wird, dann der der »indeterminacy«, der Unbestimmtheit. Da scheint es nur passend, dass der Komponist uns im Zoom-Call erzählt, dass er gar nicht so recht weiß, was von dem Portraitkonzert »Metal & Breath« mit seinen Werken zur Eröffnung des Monats der zeitgenössischen Musik zu erwarten sein wird. Das Programm umfasst Stücke aus 55 Jahren. Das älteste entstand 1968, das neueste in diesem Jahr: Wolff hat eigens eine neue Komposition geschrieben, die vom Tiefblechensemble Zinc & Copper und Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky aufgeführt wird. Mit field notes-Redakteur Kristoffer Cornils sprach Wolff über die politischen Motive in seiner Musik, die Arbeit mit mikrotonalen Ideen und den Dialog zwischen einer Partitur und ihren Interpret*innen.

Wer hatte die Idee für dieses Portraitkonzert?

Ich nicht! (lacht) Das waren wahrscheinlich Robin Hayward und Robyn Schulkowsky. Sie dachten, es wäre schön, wenn ich ein Stück für sie schreiben würde. Daraus entwickelte sich dann die Idee eines Konzertes. Wir sprachen für eine Weile darüber, ein Konzert zu meinem 90. Geburtstag zu veranstalten. Der ist aber erst nächstes Jahr, also warum warten? (lacht)

Du kennst Schulkowsky schon seit Jahrzehnten, aber hast du jemals mit Zinc & Copper gearbeitet?

Mit Robin, ja, aber die anderen habe ich nie getroffen. Hilary Jeffery hat bei James Fulkerson studiert, mit dem ich zusammengearbeitet habe, also gibt es da eine Verbindung. Elena Kakaliagou aber kannte ich nicht.

Wie habt ihr das Programm für das Konzert kuratiert?

Damit hatte ich eigentlich nichts zu tun!

Das schafft eine interessante Situation, in der du fast von außen auf dieses Programm schauen kannst. Machst du darin einen roten Faden aus?

Gute Frage! Zumindest habe ich sie alle geschrieben, das wäre schon mal etwas! (lacht) Ich versuche nicht, mich absichtlich zu verändern. Ich hoffe, dass ich mich verändere, ich bin offen für Veränderungen, aber ich versuche nicht willkürlich, etwas anders zu machen als zuvor. Trotzdem komponiere ich natürlich schon seit über 70 Jahren, und habe mich ständig auf die eine oder andere Weise verändert. Obwohl das in den letzten 20 bis 25 Jahren vielleicht nachgelassen hat. Es gibt eben nur eine begrenzte Anzahl von Ideen, die ein einzelner Mensch haben kann! (lacht)

Ich habe das auch hinsichtlich der frühesten Stücken des Programms gefragt: »Pairs« von 1968 und »Exercise 15« von 1975, eine Komposition, die eine politische Dimension hat, weil sie Material aus dem Woody-Guthrie-Song »Union Maid« verwendet. [Seit dem Gespräch hat sich das Programm des Konzerts geändert, eine aktualisierte Fassung ist hier zu finden, Anm. d. Red.]

Zwischen diesen beiden Stücken hat sich viel verändert. In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren begann ich, mich für Politik zu interessieren. Ich habe angefangen, mit Folk-Songs zu arbeiten, wie auch mit »Exercise 15«. Es gab politische Unruhen, die Vietnam-Bewegung. Zusammen mit Komponisten wie Frederic Rzewski und Cornelius Cardew fragte ich mich, wie sich diese politischen Themen mit Musik verbinden ließen. Und ab da an … Habe ich einfach so weitergemacht wie zuvor, glaube ich! (lacht) In den letzten zwanzig Jahren bin ich vor und zurück gesprungen, habe auf älteres Material oder ältere Arbeitsmethoden zurückgegriffen und sie mit unterschiedlichen Dingen kombiniert, die ich im Moment mache. Das bedeutet, dass jedes Stück eine Art Anthologie dessen ist, was ich zuvor gemacht habe. Ich versuche aber immer, etwas Neues daraus zu machen.

Hat sich dein Interesse an der Arbeit mit zeitgenössischen politischen Themen erhalten?

Auf eine Art schon. Ich schreibe keine dezidiert politischen Stücke, aber verwende immer noch politische Folk-Songs als musikalisches Material. In meinem neuen Stück für Zinc & Copper und Robyn Schulkowsky kommt sogar ein Lied von Hanns Eisler vor: »Vorwärts und nicht vergessen« (singt den Refrain) Zwei Takte lang wird das in der Posaune ganz deutlich, unterstrichen durch das Schlagzeug. In den siebziger Jahren war Eisler unser Held. Er kam aus der Avantgarde, war aber auch sehr politisch. Er war ein Weggefährte Bertolt Brechts und schrieb all diese Lieder, die Teil der linken Folklore in Deutschland wurden! Selbst wenn die Leute nichts von Eisler wussten, kannten sie doch immerhin seine Lieder.

Welchen Ansatz hast du mit dem neuen Stück für Zinc & Copper und Schulkowsky verfolgt?

Ich hatte mit Robin schon für Tuba-Stücke zusammengearbeitet und wusste, dass er an mikrotonaler Musik interessiert war. Bei Zinc & Copper dreht sich jedoch alles darum. Das stellte für mich eine Herausforderung dar, weil ich mich in meiner Arbeit nie mit Mikrotonalität als solcher beschäftigt hatte. Das liegt zum Teil daran, dass mein Ohr nicht so gut ist – ich kann es nicht richtig hören! (lacht) Allerdings habe ich zuvor Mikrotöne als eine Art der Artikulation verwendet, indem ich in meinen Partituren darum gebeten habe, Töne leicht verstimmt zu spielen, also einen Mikroton höher oder tiefer. Diese Idee kehrt im neuen Stück wieder, es greift das Thema Mikrotöne von Beginn an auf. Eine meiner Partituren besteht aus einer simplen geraden Linie. Die Performer*innen wählen zuerst eine beliebige Tonhöhe für diese Linie. Wenn eine Note auf dieser Linie liegt, wird genau dieser Ton gespielt. Befindet sich aber eine Note oberhalb der Linie, spielen sie einen Bruchteil eines Intervalls – weniger als ein Halbton – höher; befindet sie sich unterhalb der Linie, gehen sie etwas herunter. Es sind drei verschiedene Personen, die das tun, also sollte es mikrotonale Qualitäten in der Musik geben, auch wenn ich diese nicht genau spezifiziert habe. Ich habe viel mikrotonale Musik gehört und dabei bemerkt, dass ich am stärksten auf die von James Tenney reagiere, der viel mit Mikrotönen gearbeitet hat. Wie ich schon sagte, ist mein Gehör nicht so gut, also habe ich die mikrotonalen Elemente nicht wirklich gehört. Was ich aber wahrnahm, war, dass das Miteinander der Instrumente, die mikrotonal spielen, auf eine ganz bemerkenswerte Weise die Klangfarbe verändert. Ein Streicherensemble klingt überhaupt nicht mehr wie ein Streicherensemble! Das fand ich interessant und hoffe, dass in diesem Stück Ähnliches passieren wird.

Womit wir wieder beim Konzept der Unbestimmtheit angelangt wären.

Ganz genau.

Du hast gesagt, dass die Unbestimmtheiten in der Notation der Partitur dazu da sind, »eine Art von Rhythmus zu erzeugen«, der sonst nicht realisierbar wäre.

Ein großer Teil der Partitur besteht aus einfachen Takten – 2/4, 3/4, wie auch immer. In anderen Fällen gibt sie eine unabhängige Richtung für ein Instrument vor, und dann führt eine abgewinkelte Linie zum nächsten Instrument. Das bedeutet, dass in dem Moment, in dem die erste Person aufhört, zu spielen, die zweite ihren Ton aufnimmt. Niemand zählt dabei mit, es geht rein nach Gehör. Die zweite Person weiß also nicht, wann sie spielen muss! (lacht) So entsteht ein Rhythmus, wie er sich anderweitig nicht einfach erschaffen ließe.

Du hast von einem »Dialog« zwischen dir und den Performer*innen gesprochen. Hängt das auch damit zusammen?

Das ist nochmal etwas anderes, obwohl beide mit einer Art von Unbestimmtheit zu tun haben; damit, dass etwas nicht festgelegt ist. Es gibt einen Raum zwischen einer Partitur, die von Komponist*innen geschrieben wurde, und ihrer Performance, die von Performer*innen geschrieben wird. Das beste Beispiel ist ein klassisches Stück, das von zwei verschiedenen Musiker*innen gespielt wird: Obwohl die Partitur genau dieselbe ist, werden beide Versionen verschieden klingen. Man könnte sagen, dass ich das thematisiere, indem ich Situationen schaffe, deren Ergebnis von der Interpretation der Performer*innen abhängt. Auf einer einfacheren Ebene gibt es in dem Stück sehr wenig Dynamik, die Partitur ist nicht sehr detailliert. Ich lasse vieles offen, was übrigens auch sehr charakteristisch für einen Großteil der klassischen Musik ist. Nehmen wir etwa eine Mozart-Partitur! Außer den Noten und dem Rhythmus gibt es darin nur sehr wenige Informationen zu finden. Sehr wenig Dynamik, sehr wenig Phrasierung, oftmals keine Tempoangabe. All das müssen diejenigen herausfinden, die die Partitur interpretieren. In diesem Sinne entsteht ein Dialog zwischen den Interpret*innen und der Partitur. Das ist es, was ich meine, wenn ich von einem »Dialog« spreche: Es ist nicht so sehr einer zwischen mir und diesen vier Musiker*innen, sondern zwischen dem, was ich geschrieben habe, und dem, was sie tun, um es in Klang zu verwandeln.

Sie werden die verschiedenen Stücke auch mit einer eigenen Komposition verweben.

Ja, davon habe ich erst vor kurzem erfahren und bin noch dabei, es zu verarbeiten! (lacht) Das wird eine andere Art von Dialog herstellen – etwas, das definitiv nicht ich bin, sondern sie. Andererseits tun sie es vermutlich, weil sie das Gefühl haben, dass es etwas mit mir zu tun hat!

Alles in allem wird die gesamte Aufführung also für dich ebenso eine Überraschung darstellen wie für den Rest des Publikums.

Hoffen wir, dass es eine gute Überraschung sein wird! (lacht) Ich habe volles Vertrauen in diese Leute. Was sie machen, ist wunderbar.

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