Inwiefern hängen diese Fragen für dich auch mit Theorien von Blackness zusammen, auf die du dich ja in deinen Werken und Texten öfter beziehst?
Sehr eng. Es ist interessant, dass unsere moderne Idee von einer Relation zum Raum absolut mit der Frage verwoben ist, was ein Mensch sein kann und was wir sind und nicht sind. Ein gutes Beispiel ist: Seit Beginn der Plantagen und der mit ihnen verbundenen Sklaverei gab es die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die Land produktiv machen, es kultivieren können. Die Plantage war die Geburt der Monokultur, die dem »wilden« oder »untauglichen« Land gegenüberstand. Auf diesem wilden Land wiederum haben viele Sklaven und indigene Personen ihre Freiheit praktiziert. »Maroonage« ist ein Wort, um diese Gesellschaften zu beschreiben. Blackness bespricht also diese Verweigerung zu begrenzen, was Leben sein kann. Blackness geht über jede Begrenzung hinaus, es ist eine Aufforderung, immer weiter zu fragen und zu denken, mit dem Unbekannten, dem Ungedachten zu bleiben. Es ist wie ein hack, um Tony Cokes zu zitieren, der in einer Welt, die ständig versucht, alles unter Kontrolle zu bekommen, alles produktiv zu machen, widerspricht. Blackness kann nicht auf Diskurse der Monokultur oder der Biodiversität als dessen Derivat reduziert werden. Beides basiert auf einer anti-Schwarzen-Welt. Black Lives Matter, sowie Schwarzsein, ist auch eine Kritik an den Spielregeln dieser Welt. Es geht darum, die Definitionen von Leben und Existenz, die zur Zerstörung führen, zu hinterfragen.
Wie stehen für dich Begriffe wie Black und Blackness im Verhältnis zu Diversität, als einem Begriff, der ja hierzulande als Begriff inzwischen eher verbreitet ist?
Das Problem mit Diversität als Begriff ist, dass er sehr leicht dazu verwendet werden kann, Anti-Blackness zu verdrängen. Noémi Michels wissenschafliche Arbeit, zum Beispiel über das »Schwarze-Schaf-Poster« der SVP aus dem Jahr 2007, zeigt das ganz klar. Das Poster zeigt drei weiße Schafe, die ein schwarzes Schaf aus der Schweiz stoßen. Als Gegenkritik wurde ein Poster mit 23 unterschiedlich aussehenden Schafen geschaffen, um die Vielfältigkeit, oder Diversität, der Schweiz zu zelebrieren. Die Rhetorik der scheinbar schon bestehenden Diversität, da die Schweiz ja von verschiedenen Sprachen und Kantonen geschaffen wurde, spielte der Rhetorik der SVP in die Hände, dass die Farbe des Schafes nicht wichtig sei. Das heißt also, dass ein erster Schritt die schwarze Farbe des Schafes als Rassifizierung sieht. Deswegen ist die Kritik dieses Posters notwendig. In einem zweiten Schritt jedoch wird nicht nur die Rassifizierung sondern eben auch Blackness ausgelöscht und als nicht gültig bezeichnet. Wie Claire Jean Kim erläutert: Die Loslösung vom Problem, das Affirmative Action bekämpfen sollte — nämlich Anti-Blackness — wurde durch colorblind-Diskurse wie eben Diversität ermöglicht. Und erlaubte die erneute Verneinung von Affirmative Action.
Gleichzeitig höre ich in Diversität aber auch einen Untergrund — der Kampf gegen Anti-Blackness in einer Welt, in der man dies nicht einmal benennen kann. Im Deutschen haben wir nicht einmal ein Wort für Anti-Blackness. Und die Diskurse über Anti-Blackness kommen erst langsam in die größere Aufmerksamkeit (natürlich weil Anti-Blackness strukturell ist). In der Abwesenheit von Diskursen und Wörtern, um etwas zu thematisieren, muss man über die Sprache, gar das Verstehen selbst gehen. Das ist, was die Black Studies schon immer besprochen haben. Das Wort »afro-deutsch« kann nicht von den Schwarzen Frauen losgelöst werden, die sich organisierten, und durch ihre Zuwendung zu Schwarzen Menschen in Deutschland und deren Geschichten dieses Wort niederschrieben, und gleichzeitig eine Menge von Diskursen und strukturellen Einbrüchen in Gang brachten. Blackness bespricht also die radikale Verweigerung einer antischwarzen Welt durch die Affirmation von Schwarzsein/Black Lives.
Dein Lehrer George E. Lewis hat bei VAN Outernational eine »Kreolisierung« der zeitgenössischen Musikszene gefordert. Wie stehst du zum Begriff der Kreolität, der maßgeblich von Édouard Glissant geprägt wurde?
Kreolität ist für mich sehr wichtig, weil es eine Art des Widerstands zum Diskurs von Multikulturalismus, Diversität und Hybridität ist. Kreolität muss man als ein Konzept verstehen, das untrennbar von Blackness ist. Gleichzeitig muss das Konzept problematisiert werden, da es auch in colorblind-Diskurse gezogen werden kann. Glissants Theorisierung von creolité jedoch braucht das Unvorhersehbare und Unbekannte, was für ihn in der Situation, in der sich Schwarze in der Zeit der Sklaverei befanden, exemplifiziert ist. Auch Glissant schreibt über Maroonage und creole gardens. Diese kleinen Gärten waren manchmal Teil der Plantagen, aber auch in schwieriger zu bewirtschaftenden Gebieten zu finden, die die Maroons für sich gewinnen konnten. Da wurde auf wenig Platz für die Sklaven und deren eigenen Unterhalt viel unterschiedliches – heute würde man sagen biodiverses – Essen angepflanzt. Für Glissant ist das eine fundamentale Metapher für sein Konzept von Kreolität. Da ist ein Wissen, das wir wiedererkennen müssen, um überhaupt auf diesem Planeten leben zu können. Und zwar ein Leben, das uns wieder beinhaltet. Auch Glissants Konzept der Opazität ist mir unglaublich wichtig.
Kannst du kurz beschreiben, was Opazität bedeutet?
Glissant hat gesagt, dass jeder Mensch ein Recht auf Opazität hat. Opazität steht der Transparenz und Kontrolle gegenüber, er meint also, dass wir ein Recht haben, nicht durchleuchtet und dadurch kategorisiert und kolonisiert zu werden. In der Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts wurden Transparenz und Kontrolle zum Prinzip des Nationalstaats und somit auch zur Definition eines Bürgers. Kurzum: Was nicht bekannt ist, darf nicht existieren. Das, was wild ist, darf erobert werden. Wie das »wilde Afrika« oder der »wilde Westen«. Das Beharren auf Opazität als Grundrecht setzt sich dem entgegen.
Findest du die Opazität auch als Konzept für deine Kompositionen fruchtbar? Zum Beispiel in dem Sinne, dass man weniger essentialistisch kategorisiert und sich auch von der Idee verabschiedet »alles, was ich nicht sehe oder durchschaue, ist nichts wert«?
Ja! Das ist ein sehr schöner Ansatz. Für mich als Komponist hängt Opazität auch gar nicht nur mit dem Schaffen, sondern auch mit dem Hören von Musik zusammen und der Hörhaltung, die ich einnehme. Die verbreitete Vorstellung ist ja, dass man Musik auf zwei Arten hören kann: im Stream oder im Konzert. Oft weiß man dann, welche Musik man erwarten kann. Für mich hat das eigentlich sehr wenig mit Musik zu tun – die eigenen Erwartungen zu bestätigen. Vielleicht sollten wir weniger erklären, vielleicht ist es die Aufgabe der Zuhörenden, eine Beziehung herzustellen zur Musik? Musik ist ein Netz von Beziehungen. Dass wir hören und Kategorien aufbauen und wieder verlieren. Dass wir immer neue Worte finden müssen, wenn wir sprechen. Vieles darf sich neu sortieren, wenn wir hören. Das ist das Schöne!