Ich stelle es mir unfassbar schwierig vor, einen Anfang für solche umfassenden Projekte zu finden. Wie kann ich mir eure Vorgehensweise vorstellen? Habt ihr bereits zu Beginn einen Plan oder ist es mehr ein Auf-die-Suche-gehen?
Claudia: Wir arbeiten erst einmal formatoffen und steigen in die Thematik ein. Dann schauen wir assoziativ und natürlich aus der Erfahrung heraus, welche Form in Frage kommen würde. Speziell bei diesem Projekt war schnell klar, dass es sich nicht auf eine Form beschränken kann. Spannender war es, danach zu fragen, wie innerhalb unterschiedlicher Formate neue Diskursformen geschaffen werden können. Wir suchen sozusagen die Formate aus, die am ehesten zusammenpassen und kombinieren diese dann aber auch noch mal in einer neuen Weise.
Nicolas: Alle Beteiligten wussten nicht genau, wie sie sich vorbereiten sollen und haben gemerkt, dass sie ein Stück weit in kaltes Wasser springen. Das entspricht unserer künstlerischen Arbeit mit FrauVonDa: Wir experimentieren an verschiedenen Enden und gleichen das mit dem Thema und der Aufgabenstellungen ab. Hier ging es um die Frage des Sich-Hineinversetzens in die nicht-menschlichen Sinne. Man kann als Mensch natürlich sehr schwer nachempfinden, wie ein Fisch oder eine Alge in ihrer Umwelt jeweils die verschiedenen Eindrücke wahrnimmt. Wir unternehmen den Versuch, dem auch auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen näherzukommen.
Auf welche Wege habt ihr versucht, diese Sinneswahrnehmung festzuhalten?
Nicolas: Wir versuchen uns mit Klang, Bildsprache, aber auch dem Tastsinn dahin zu bewegen. Die Idee ist zuerst, Abstand von der eigenen menschlichen Wahrnehmungsweise zu gewinnen. Im Bereich der Bildbearbeitung kann man aufgrund des Wissens über Fische, spezifisch den Stör, mit visuellen Effekten arbeiten. Man weiß, dass der Stör nur in Schwarz-Weiß sehen kann. Er hat ein rudimentäres Sichtfeld, weil er ganz andere und viel feinere Wahrnehmungskanäle hat, die wir nicht kennen. Das bedeutet, sich in seine visuelle Perspektive versetzen zu müssen, eine gewisse Art von spezifischer Unschärfe im schwarz-weißen Bereich zu generieren. Für die klangliche Umsetzung haben wir Hydrophon-Aufnahmen gemacht und Klangmaterial gesammelt. Wir haben unter anderem den Fährhafen in Mariehamn auf den Åland-Inseln aufgesucht und die Unterwassergeräusche einer einfahrenden Fähre aufgenommen. Das war ein Schock! Es ist ein unglaublicher Höllenlärm, der den Tieren zugemutet wird.
Claudia: Ein erster Schritt ist es, eine Hypothese von einem gemeinschaftlichen Wahrnehmungsraum zu schaffen und eine Schnittmenge an Wahrnehmungen zu generieren. Fische hören sehr tieffrequent; hauptsächlich in einem Bereich, in dem wir gar nicht mehr hören, also unter 20 Hertz. Es geht darum, dass man Sensibilität und Respekt entwickelt für jegliche Art von Perspektive und Wahrnehmung. Und dass man mit Offenheit und sensibler Weichheit auf die Welt und Tiere guckt. Das bedeutet auch, sich von der menschenzentrierten Sicht zu entfernen.
Ihr sagt, dass ihr die menschliche Wahrnehmung sensibilisieren wollt. Wie gestaltet sich das Wechselspiel zwischen der menschlichen Wahrnehmung und der musikalischen Komposition?
Claudia: Man kann mit Kognition bestimmte Dinge eruieren. Das, was uns aber letztendlich in eine Verbindung bringt, sind die Sinne. In dem Moment, in dem wir Kognition und Emotion verknüpfen, involvieren wir uns komplett. Das versucht sowohl die Ausstellung als auch das Konzert.
Werdet ihr das Publikum in dem Konzert einbeziehen?
Claudia: Das wäre noch mal eine andere Herangehensweise gewesen. In unserem nächsten Vorhaben werden wir das allerdings tun.
Nicolas: Durch diese Veranstaltung zieht sich das Nature Writing beziehungsweise Libretto von Michaela Vieser und Isaac Yuen wie ein roter Faden. Es ist auch nicht eins zu eins im klassischen Sinne übertragen. Wir sind damit eher fragmentarisch und frei umgegangen. Es ist auch immer ein Abwägen zu Improvisations-Parts, verschiedene Kompositionssektionen und dem Bildmaterial. Es ist aber der Modus operandi für dieses Konzertstück, da wäre eine interaktive Ebene zu viel geworden.
Claudia: Es geht um eine Polyphonie der Entitäten von künstlerischen Disziplinen. Es gibt das Video, die Live-Elektronik, Kompositionen, freie Improvisationen und Licht. Alle stehen gleichberechtigt nebeneinander, und sie alle haben eine eigene Geschichte zu erzählen.
Der Mensch steht – stilisiert gesprochen – an der Krone der Schöpfung. Wie denkt ihr, können wir unsere Beziehung zu anderen Arten neu kalibrieren, um ein gemeinschaftliches Miteinander zu schaffen?
Claudia: Wichtig ist uns, dass man nicht die Aufgabe des Einzelnen mit einer politischen Forderung verwechselt. Es gibt natürlich eine Eigenverantwortung. Dabei geht es uns auch um response-ability. Dieses Wort ist ja deshalb so wunderschön, weil es darauf abhebt, dass der Mensch eine Handlungsperspektive bekommen soll. Es gibt die Möglichkeit einer response. Ich glaube das funktioniert, indem man mit allen Sinnen sich aufmerksam dem Anderen widmet, richtig hinschaut und gut zuhört. Das fängt auch unter uns Menschen an. Diese Verbindung ist basal für eine Veränderung im Verhalten. Ich glaube tatsächlich, dass sich Verhalten automatisch ändert, wenn man mehr wahrnimmt und diese Wahrnehmung mit Wissen speist. Hier verbindet sich dann auch wieder das Fühlen mit dem Wissen.
Nicolas: Daraus entsteht die Sensibilisierung und das ist die Grundlage für Verhaltensveränderung. Wir wollen mit der Arbeit nicht mit dem Zeigefinger Vorschläge oder Anweisungen geben, wie man sein Leben verändern soll. Das ist natürlich nicht unsere Absicht.
Claudia: Dieser moralische Aspekt innerhalb der Diskussion führt aus unserer Sicht eher zu Lähmung. Es geht darum, eine Balance zu finden.
Dafür muss man auch das Miteinander begreifen. Alles steht in einem ständigen Wechselspiel zueinander.
Claudia: Da es ein fragiles und junges System ist, sieht man speziell in der Ostsee, was für extreme Kettenreaktionen durch die Verschiebung verschiedener Parameter ausgelöst werden. Es ist noch keine hohe Resilienz unter den Arten vorhanden, weil sie evolutionär noch gar nicht zu Ende entwickelt sind. Das heißt, sie haben viel weniger Resilienz als Arten, die zum Beispiel im Atlantik leben. Daran lässt sich gut sehen, was das auch gesellschaftlich bedeutet. Bestimmte Dinge müssen gehegt, gepflegt und geschützt werden, damit sie florieren und sich überhaupt etablieren und zu einer gewissen Resilienz kommen können. Es war sehr lehrreich und heilsam, diese Prozesse zu sehen und zu überlegen, was es zwischenmenschlich bedeutet, das in die Gesellschaft zu übertragen.
Tickets für die beiden Aufführungen von »BALTIC SONGLINES« am 2. und 3. September in der Spreehalle Berlin sind bei Billetto erhältlich.