»Es betrifft und braucht uns alle!«

Berliner Positionen zum Kulturkampf von rechts

26 April, 2024 | Redaktion

Ein Cutter hinter vor einem Fenster, im Hintergrund eine unscharfe Berliner Straßenzeile
©Hainbach

Die field notes-Redaktion hat sich unter Akteur*innen der Berliner Szene umgehört: Betrifft sie der Kulturkampf von rechts? Gehen sie künstlerisch darauf ein? Wie relevant ist gesellschaftspolitisches Engagement in diesem Zusammenhang oder ganz grundsätzlich?

Die Lage ist ernst. Das zeigt sich nicht allein mit Blick auf die Wahlergebnisse der vergangenen Jahre, sondern lässt sich genauso aus jüngeren Umfragen herauslesen. Das beschäftigt durchweg alle der befragten Szenemitglieder. Die Stimmkünstlerin Natalia Pschenitschnikova fasst die Strategien zusammen: »Rechte Kulturpolitik versucht, bestimmte Narrative zu dominieren, kritische Diskurse zu unterdrücken und kulturelle Vielfalt einzuschränken. Das kann in Form von Zensur, Budgetkürzungen für bestimmte Kulturprojekte oder der Förderung von national-konservativen oder nationalistischen Inhalten geschehen.«

Pianist Clemens Hund-Göschel vom Zafraan Ensemble erzählt, dass sich die Gruppe nicht dezidiert mit rechter Politik auseinandergesetzt habe. »Wir beschäftigen uns aber in unseren Projekten ausführlich mit Formen des gleichberechtigten Austauschs, dem gegenseitigen persönlichen und künstlerischen Respekt und suchen bewusst Diversität und Grenzenlosigkeit.« Genau solche Ansätze sind es, die im Kulturkampf von rechts schnell ins Visier genommen werden. Zu elitär einerseits, zu links-ideologisch andererseits, lautet eine häufig vorgebrachte, obwohl inhärent widersprüchliche Anklage.

Die meisten der Befragten geben an, von solcherlei Methoden noch nicht in ihrer Arbeit betroffen gewesen zu sein. »Der Zuspruch rechter Parteien stellt unser demokratisches Fundament infrage, er bedroht uns alle«, betont jedoch Kuratorin Bettina Wackernagel. Sofia Surgutschowa, heute Managerin des Zafraan Ensembles, berichtet aus ihrer Zeit mit dem transkulturell arbeitenden Babylon Orchestra von Anfeindungen. »Es waren rechte Gruppen, die sowohl etwas gegen Araber*innen als auch gegen Jüdinnen und Juden haben«, gibt sie zu Protokoll. Einschüchterungsversuche per Mail und anonymen Anrufen folgten einer altbekannten Strategie, die Rhetorik ebenso: »›Solche Vereine sollten kein deutsches Geld bekommen‹, hieß es«, so Surgutschowa.

So erfolgt zwangsläufig eine Politisierung der Musikszene von außen. Dabei herrscht innerhalb nicht einmal Einigkeit darüber, ob Kunst überhaupt Trägersignal politischer Inhalte sein sollte. Pschenitschnikova glaubt fest an die Verantwortung der Kunst. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsruck sei notwendig, »um eine freie Gesellschaft zu erhalten«, wie sie betont. Eloain Lovis Hübner arbeitet derzeit kompositorisch mit vokalen Ausdrucksformen politischer Proteste. »Die Kunst kann ihren Teil zur Bewältigung unserer Probleme – Klimakatastrophe, soziale Verelendung oder drohender Faschismus – beitragen. Nicht bloß durch Rahmenprogramme, sondern durch die explizite, nötigenfalls schmerzhafte Thematisierung; nicht (reine) Analyse, sondern Parteinahme.«

Der Klangkünstler Georg Klein befasst sich seit über 20 Jahren mit rechtsradikaler Musik und Rhetorik, fordert aber mehr Differenzierung: »Kultur und Kunst haben die Möglichkeit, das Publikum in eine emotionale Reflexion zu führen, mit welchem – vielleicht kathartischen – Ausgang auch immer«, sagt er. Schwierig fände er es jedoch, von einer Verantwortung der Kunst zu sprechen. Vielmehr ginge es um Ambivalenzen, die er selbst in seiner Arbeit proaktiv hervorhebt.

Auch die Künstlerin Steffi Weismann betrachtet die Verarbeitung politischer Sujets als Balanceakt. »Das aktivistische Anliegen muss ein Stück weit in den Hintergrund treten, um mit der Kraft von Symbolen und Handlungen auf einer tieferen Ebene anzusetzen und für das Publikum Türen öffnen«, sagt sie. Ähnlich denkt Hübner: »Kunst hat verschiedene Möglichkeiten, sich zu positionieren – steht dabei aber auch immer wieder vor der Herausforderung, zu klären, wie sie eindrücklich, aber nicht belehrend, ästhetisch, aber nicht ästhetisierend, affirmativ, aber nicht appropriativ, intentional, aber nicht propagandistisch sein kann.«

Die inhaltliche Befassung mit Missständen ist das eine, eine verstetigte programmatische Auseinandersetzung mit und der Aufbau von Alternativen das andere. Das von Wackernagel geleitete Festival Heroines of Sound setzt seit zehn Jahren auf einen feministischen Ansatz und bezieht regelmäßig außereuropäische Perspektiven ein. »Es eröffnet dem Publikum eine Perspektive, den musikalischen Kanon und die aktuelle Musikpraxis mit Blick auf race und Gender zu überdenken«, erklärt sie. »In dem Sinne ist es ein genuin gesellschaftspolitisches Format.«

Im Angebot von Vermittlungs- und Reflexionsmöglichkeiten sehen auch andere Akteur*innen die zentrale Aufgabe ihrer Arbeit. Thomas Bruns vom Ensemble KNM Berlin weist darauf hin, dass die ensembleeigene Garage in der Fahrbereitschaft als Raum genutzt werden soll, der »sensibles, pluralistisches und intensives Hören ermöglicht.« Hübner betont ebenfalls die Wichtigkeit, »niedrigschwellige und inklusive Zugänge zu ebnen – Räume als Orte der Gemeinschaft, Partizipation, Kreativität, Zuwendung, des Diskurses, der Veränderung, des Ernstgenommenwerdens und des Verweilens erfahrbar zu machen.«

Es benötigt nicht allein Räume, sondern auch organisatorische Zusammenschlüsse. Unter dem Eindruck des rechtsextremen Anschlags in Hanau und den Black-Lives-Matter-Protesten des Jahres 2020 haben in diesem Sinne Steffi Weismann und das Team von Errant Sound die Kollaboration mit dem Apartment Project gesucht. Daraus ging die Artists Against Racism Collaborative hervor, die in der Folge zwei Ausstellungen organisierte. Jenseits ästhetischer und inhaltlicher Beschäftigung mit dem zunehmenden Rechtsruck erfordert das Engagement für ein vielfältiges Miteinander umfassendere und nachhaltigere Bündnisse, konstatiert Weismann: »Es braucht zivilgesellschaftliche Kräfte, die in solchen Situationen wach genug sind, zu reagieren und sich solidarisch zu verhalten.« Ähnlich denkt Wackernagel: »Es betrifft und braucht uns alle!« Die bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und für ein vielfältiges Zusammenleben hätten diesbezüglich ein hoffnungsvolles Zeichen gesetzt. Welche Rolle die Kunst darin spielen kann, wird sich noch zeigen.

  • Review