Deutscher Kontext
Die Freiheit der Kunst ist in Deutschland ein hohes Gut und im Grundgesetz festgelegt (Art. 5 Absatz 3 GG). Die deutsche Kulturpolitik ist von der Auffassung geprägt, dass die Künste nicht nur vor politischen Eingriffen und Zensur, sondern auch vor Markteinflüssen und der Zustimmung des Publikums geschützt werden sollten. Um sie vor wirtschaftlichen Zwängen zu schützen, werden insbesondere hochkulturelle Angebote weitestgehend öffentlich gefördert.
Dies erklärt, warum das Publikum bei der Gestaltung des Kulturangebots in Deutschland traditionell eine eher untergeordnete Rolle spielt. Hierzulande steht die vertiefte Beschäftigung mit dem Publikum und die Einbindung seiner Interessen in künstlerische Programme immer noch im vermeintlichen Widerspruch mit künstlerischer Qualität oder künstlerischer Freiheit.
Allerdings ist auch in Deutschland eine Tendenz zu verzeichnen, der kulturellen Teilhabe einen höheren Stellenwert beizumessen. Dies ist unter anderem auf eine Verschiebung der demografischen Struktur der Bevölkerung mit einem wachsenden Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund und dem Wunsch, die pluralistische Gesellschaft auch in Kulturangeboten abzubilden, zurückzuführen. Zudem stellen der schwindende Konsens über traditionelle Hochkultur als Leitkultur, ein nachlassendes Interesse an klassischen Kulturangeboten und eine starke soziale Spaltung des Kulturpublikums die Relevanz kultureller Angebote zunehmend in Frage (Mandel, 2021). Nicht zuletzt hat die Pandemie den Publikumsrücklauf noch verstärkt, von dem sich die Einrichtungen nur langsam erholen. Es ist daher also nicht verwunderlich, dass die Beschäftigung mit dem Publikum ein zunehmend relevantes Thema in der deutschen Kulturpolitik ist.
Kultureinrichtungen stehen im Zuge dessen unter einem erhöhten Legitimationsdruck für ihre durch Steuermittel finanzierten Programme. Der Schwerpunkt in Bezug auf das Publikum liegt nicht länger ausschließlich auf der Steigerung der Ticketeinnahmen, sondern auf der Erreichung neuer Zielgruppen mit unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen. Auch die Szene der zeitgenössischen Musik in Deutschland, die zu einem großen Teil aus Akteur*innen der freien Szene besteht, ist vermittelt durch Förderinstitutionen abhängig von kulturpolitischen Setzungen. Dabei gibt es selten Vorgaben zur kulturellen Partizipation in den bestehenden Projektförderungen, vielmehr werden Sondertöpfe und ganze Förderlinien mit dem Ziel einer erhöhten Beteiligung unterschiedlicher Bevölkerungsschichten eingerichtet.
Doch auch ohne den Druck von oben wächst bei den Akteur*innen das Verlangen, nicht mehr länger nur ein Nischenpublikum in der eigenen Echokammer zu erreichen. Mangelnde Diversität wird nicht nur in den Organisationstrukturen und den künstlerischen Programmen als Problem empfunden, sondern auch in der Zusammensetzung des Publikums. Dabei kann Partizipation unterschiedliche Formen annehmen von der Teilnahme als Besucher*innen über aktive künstlerisch Einbindung von Publikum in die Projekte.
Die Frage, für wen die Kunst eigentlich ist oder sein sollte, hat zu einer Reihe spannender Aufführungen geführt, die selbstreferenzielle Praktiken der neuen Musik aufbrechen. Viele Veranstalter*innen finden kreative und eigene Wege, die kulturelle Partizipation an ihren Programmen zu erhöhen und unterrepräsentierte Gruppen nachhaltig einzubinden.