Opposite Editorial: Elisa Erkelenz

field notes #22

1. Mai 2021 | Elisa Erkelenz

Elisa Erkelenz im Portrait
©(c) VAN Magazin

Liebe Leser*innen der field notes,

in seinem Essay »Acht schwierige Schritte zur Dekolonisierung der Neuen Musik« formuliert der Komponist und Musikwissenschaftler George E. Lewis, dass uns die Multiplikation von Perspektiven zu einer Multiplikation der Möglichkeiten führen kann. Ein Versprechen, das am Ende eines nicht immer leichten Prozesses der Beschäftigung mit gewachsenen Denkmustern als Institution, als Szene, als Person steht. Wie kreativ ein solcher Prozess von Reflexion und bewusstem »Verlernen« sein kann, wie bereichernd für alle Beteiligten, wie subversiv und utopisch gedacht – das kann gerade in der Neuen Musik anklingen und muss nicht bei der Benin-Bronzen-Diskussion aufhören.

Unter dem Titel »Curating Diversity Part 2« findet am 6. und 7. Mai ein Symposium statt, das diese Fragen in einem offenen Workshopformat diskutiert. Das Symposium ist die Fortsetzung einer ersten Fassung im September 2020 und wurde diesmal komplett in den digitalen Raum verlagert. Beraten wurde das Planungsteam von den Musiker*innen und Denker*innen Memory Biwa, Candice Hopkins, Lee Walters, meLê yamomo and Du Yun.

Wie fruchtbar die Ausgestaltung der Denkräume ausfallen wird, hängt in einem so hierarchiefreien Format des Wissenstransfers von uns allen ab. Dass eine dekoloniale Perspektiverweiterung auch nicht-humane Blickwinkel einschließen kann, erzählt Kirsten Reese in ihrem Projekt »Sleeping on the Ground at Coburg«, eine akustische Recherche auf den Spuren des schillernden Grashüpfers Alyurr an der Nordspitze Australiens, die Fragen von Ökologie und postkolonialem sowie indigenem Wissen verbindet – mehr zu den Hintergründen erzählt sie im Interview.

Beide Projekte sind eingebettet in das Festival »Memories in Music«, in dem verschiedene Formen der Erinnerungskultur in der zeitgenössischen Musik in den Blick genommen werden. Von bedrohten Vögeln bis hin zur Migration verlorener Sprachen. Auch sonst ist das Heft ein Spiegel einer diversen und global verflochtenen Szene. Ein schützenswertes Biotop, das seine Wandlungsfähigkeit aktuell wieder besonders unter Beweis stellt. Ich wünsche eine gute Lektüre, allen Künstler*innen einen langen Atem und der Kulturpolitik ein gutes Gehör.

— Elisa Erkelenz

Elisa Erkelenz ist freie Kuratorin, Dramaturgin und Autorin mit Schwerpunkt auf zeitgenössischer und transtraditioneller Musik. 2018 rief sie »Outernational« ins Leben, das Künstler*innen verschiedenster Musiktraditionen präsentiert. Das nächste Konzert der Reihe findet am 3. August im radialsystem statt: »Amazon Stories« (siehe S. 17). Ansonsten ist sie u.a. für das Trickster Orchestra, die Donaueschinger Musiktage und freie Ensembles aktiv oder schreibt z.B. für das VAN Magazin.

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