Die Idee der Transformation spielt eine zentrale Rolle in »Transfigurationen«. In welcher Weise findet diese Transformation in deiner Komposition »Emote« statt?
In »Emote« spielt die Transformation auf mehreren Ebenen eine zentrale Rolle. Eine wesentliche Transformation besteht in der Beziehung zwischen dem, was wir visuell wahrnehmen, und dem, was wir hören. Die grafische Notation beeinflusst, wie die Performer*innen mit ihrem Körper und ihrer Stimme interagieren, und so entstehen durch die visuelle Vorlage neue musikalische Ausdrucksformen.
Eine weitere wichtige Transformation ist die zwischen Emotion und Musik. Statt klassische musikalische Parameter wie Tonhöhe, Dynamik oder Rhythmus in den Vordergrund zu stellen, habe ich versucht, Emotionen als zentrale Motive zu komponieren. Es ist also eher eine »Emotionsmelodie« entstanden, die sich entwickelt und durch Gegenmelodien ergänzt wird. Die Transformation liegt hier darin, Emotionen in Klänge und Bewegungen zu übersetzen und so eine neue Form des musikalischen Ausdrucks zu schaffen.
Du hast die Voice-Map-Methode entwickelt, um die Kommunikation zwischen Sänger*innen und Komponist*innen zu verbessern. Was hat es damit auf sich?
Der Ausgangspunkt war die Feststellung, dass jede Stimme spezifische Register und Dynamiken hat, die in der klassischen Gesangstechnik oft geglättet werden. In meiner Methode wird bewusst mit diesen natürlichen Unterschieden in den Stimmregistern gearbeitet, anstatt sie zu verstecken.
Bei der Voice Map treffen sich Sänger*innen und Komponist*innen, um die stimmlichen Möglichkeiten zu analysieren. Mit Hilfe einer Computeranalyse werden die verschiedenen Register der Stimme aufgezeichnet – das bedeutet, man schaut genau, wo die Übergänge zwischen Bruststimme, Kopfstimme und anderen Registern liegen und wie sich die Dynamik in diesen Bereichen verhält. Das Ergebnis ist eine digitale Karte, die die spezifische stimmliche Topografie zeigt, quasi eine »Landkarte« der Stimme. Diese Voice Map hilft den Komponist*innen, das volle Potenzial der Stimme zu verstehen und gezielt für diese Stimme zu schreiben.
Ein wichtiger Aspekt dieser Methode ist die intensive Kommunikation zwischen Sänger*innen und Komponist*innen. Es wird nicht nur die Stimme analysiert, sondern auch über Themen wie Atmung, Text und stimmliche Vorlieben diskutiert. Dadurch entsteht ein viel tieferes Verständnis dafür, wie die Stimme funktioniert und was die Sänger*innen musikalisch ausdrücken wollen.
Diese Methode fördert nicht nur präzise Kompositionen, die auf die individuellen stimmlichen Fähigkeiten zugeschnitten sind, sondern bringt auch einen Erkenntnisgewinn für weniger erfahrene Komponist*innen. Sie lernen dadurch, dass sie nicht für abstrakte, imaginierte Stimmen komponieren, sondern sich intensiv mit den realen Sänger*innen auseinandersetzen sollten. Das Ergebnis ist oft erstaunlich: Obwohl für eine spezifische Stimme komponiert wird, können später auch andere Sänger*innen mit ähnlichen Stimmen diese Werke singen, indem sie die Komposition leicht anpassen. So wie es bei den berühmten Mozart-Arien der Fall ist, die ursprünglich für individuelle Sängerinnen maßgeschneidert wurden, heute aber von vielen gesungen werden können. Die Methode schafft somit eine Balance zwischen Präzision und Offenheit und hilft dabei, dass Kompositionen sowohl individuell als auch übertragbar bleiben.
Warum hast du die Voice-Map-Methode nicht bei Emote verwendet?
Ich weiß gar nicht! Ich glaube, das war einfach eine Zeitfrage. Die Voice-Map-Methode hätte sicherlich zusätzlichen Aufwand bedeutet, und leider hat es in diesem Fall nicht gepasst. Dennoch habe ich die Register sehr spezifisch für die aktuellen Performer*innen komponiert und die Avatare entsprechend modelliert. Wenn andere Sängerinnen das Stück übernehmen, müsste ich es natürlich anpassen, aber ich denke, dass das machbar wäre.
Deine Arbeit verbindet häufig verschiedene Kunstformen. Welche künstlerischen Einflüsse außerhalb der Musik haben »Emote« geprägt?
Als ich an der UdK studiert habe, lag mein Schwerpunkt auf experimentellem Musiktheater. Schon damals war es mir wichtig, Literatur, Videokunst und Design in meine Arbeiten zu integrieren. Ich arbeite gerne mit Profis zusammen, aber mache vieles auch gern selbst, obwohl ich dabei oft auf unkonventionelle Ansätze treffe. Das bringt einen besonderen Charme mit sich, auch wenn meine Designentscheidungen manchmal auf Widerstand stoßen – etwa meine Vorliebe für fade Farben. Andererseits gefallen meine Rhythmen oft gut.
Das Spiel zwischen den Disziplinen und die Fehler, wie sie etwa bei der Videobearbeitung auftreten, führen oft zu unerwarteten und interessanten Ergebnissen. Diese Fehler können die Musik und die Dramaturgie auf neue Weise beeinflussen und machen den gesamten Prozess spannender. Bei der Videoproduktion verspüre ich keinen Druck, da ich mich nicht als Videokünstler sehe. Während bei mir als Komponisten die Noten perfekt stimmen müssen, kann ich bei der Videoproduktion entspannter an die Sache herangehen.
Inwiefern beeinflussen solche kleinen »Fehler« das Musiktheater? Klingt die Musik dadurch anders?
Hm, sie hat sich vorher eher brav angehört, jetzt ist es unkontrollierter und überraschender. Das sind zwar nur kleine Nuancen, vielleicht fällt das gar nicht so auf. Ich glaube aber, dass sich dadurch auch die Interpretation ändern wird. Normalerweise zeichne ich die Soune-Notation selbst, aber bei der Flirt-Stelle habe ich Barockornamente verwendet – quasi eine Art Copy-Paste-Methode. Das sieht aus wie ein verrückter Barockpalast. Ich bin mir sicher, dass die Maulwerker-Performer*innen diese Notation anders interpretieren müssen, weil sie eine andere Geschichte erzählt. Es ist nicht nur eine wellige Linie, sondern es sind wirklich cremefarbene Barockornamente. Während der besonders intensiven Momente wird es noch bunter und blumiger.
Ich sehe die Welt einfach so: Wenn jemand ein Solo-Geigenkonzert spielt, betrachte ich das als Musiktheater. Auch wenn es nur ein einfaches Bühnenbild, Kostüme und Bühnenanweisungen gibt, ist es für mich trotzdem Musiktheater. Ebenso betrachte ich alles, was um uns herum passiert – wie die Leute, die da drüben gerade herumschreien – als Musiktheater. Das war bei mir schon so, als ich noch ein Kind war, aber inzwischen habe ich Techniken entwickelt, um es zu kommunizieren, zu definieren und mit anderen zu teilen.
Siehst du diese alltäglichen Momente, die für dich Musiktheater sind, wie eben die Personen, die da drüben schreien, als Inspirationsquelle? Ist es schwierig für dich, das permanent so wahrzunehmen?
Eine Zeit lang hatte ich Schwierigkeiten, Bücher zu lesen, weil ich alles als Musiktheater betrachtet habe. In meinem Kopf lief ständig ein Video ab, in dem ich überlegte, wie ich etwas umsetzen würde oder wo ich eine Sopranistin einsetzen könnte. Das gleiche Problem hatte ich, als ich neue Hobbys ausprobierte. Ich habe angefangen zu zeichnen und Organe als Stofftiere zu nähen – Augen, Gehirne und so weiter. Eigentlich wollte ich mich dadurch entspannen, aber nach ein paar Monaten begann ich zu denken: »Ach, das Gehirn könnte man auch als Gehirn benutzen oder als Instrument betrachten.« Es ist also wirklich schwierig für mich, etwas zu finden, das ich nicht direkt mit meiner Arbeit verbinde.
Du hast mir vorhin bei unserem Spaziergang erzählt, dass du immer das Verlangen danach hast, etwas Neues zu beginnen, sobald der Frühling oder Herbst beginnt. Hast du noch weitere Projekte geplant über den Herbst und den Winter?
Es gibt ein wunderschönes Projekt mit dem Titel »Eleven Ways to Kill Your Husband«. Das ist eine Variationenoper, bei der dasselbe Thema elf Mal in verschiedenen Ideen und Stilen erzählt wird. Also unterschiedliche Musiktheaterdramaturgien, aber mit demselben, relativ kleinen Ensemble. Die Komposition wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen, aber ich plane, bald mit diesem Projekt zu beginnen und freue mich schon riesig darauf.