Die Berliner Szene – Andreas Engström

field notes #1

1. März 2017 | Andreas Engström

Die Berliner Szene
©Adam Berry

Betrachtet man die Berliner Szene neuer Musik als Außenstehender, so fällt zuerst die große Menge an Konzerten und Festivals auf und dabei die schier unüberschaubare Stilvielfalt. Berlin hat sich längst zu einem Gravitationszentrum für all jene entwickelt, die sich mit neuer Musik beschäftigen wollen.

Ich bin in Stockholm aufgewachsen. In meiner Tätigkeit als Kritiker und Redakteur bin ich allerdings früher schon oft nach Berlin gereist. Meine Eindrücke und Erfahrungen, die auch im Vergleich mit anderen deutschen und internationalen Großstädten entstanden sind, deckten sich mit dem oben Beschriebenen. Als ich vor fast acht Jahren nach Berlin zog und als Veranstalter selbst Teil der Szene wurde, haben sich diese ersten Eindrücke bestätigt und vertieft.

In Berlin ist es vielleicht sinnvoller, über Szenen im Plural zu sprechen: Neue Kammermusik, »alternative« elektronische Musik, neues Musiktheater, Improvisationsmusik oder Klangkunst. Sie begründen mit ihrer Vielfalt an Institutionen, freien Veranstaltern, großen und kleinen Spielorten, frei wirkenden Ensembles, Musikern und ihrem Publikum den Ruf Berlins als Hauptstadt der neuen Musik.

Wichtig für die Vielfalt ist das Selbstbewusstsein dieser Szenen, das in den letzten Jahren dazu geführt hat, dass sich verschiedenen Berliner Prägungen von Begriffen wie »Klangkunst« und »Echtzeitmusik« im internationalen Diskurs verankert haben. Allerdings ist mit dieser Vielfalt auch eine lokale Dezentralisierung und Verstreutheit der Szene verbunden. Einerseits ist das ein gutes Zeichen: Wäre es möglich, sich einen ästhetischen Überblick leicht zu verschaffen, wäre das ein Zeichen, dass die Szene zu klein ist. Es ist schön, in einer Kunststadt zu leben, in der sich das klaustrophobische Gefühl nie einstellt, dass jeder jeden kennt. Die einzelnen Akteure der Szene haben eigene Kreise und Stammpublika. In der Welt neuer Musik ist Berlin in dieser Hinsicht einzigartig.

Jedoch stellt sich die Frage, ob der hohe Grad von Verzweigung nicht auch einen Verlust an Breitenwirkung mit sich bringt? Wie sichtbar ist eigentlich die Freie Szene der neuen Musik in Berlin? Inzwischen ist klar: Es bedarf einer besonderen Organisation, damit diese Vielfalt in der Öffentlichkeit mehr Gehör findet. Das Publikum ist groß, könnte in Anbetracht der Fülle an Veranstaltungen jedoch größer sein. Ein größeres Publikum bedeutet mehr Aufmerksamkeit und bewirkt möglicherweise auch eine bessere Berichterstattung in der Presse, was schließlich Ansporn für eine progressivere Kulturpolitik sein könnte. Aber genügt das schon? Wir wissen alle, dass diese Dinge zusammenhängen. Wie kommen wir aber von dem Bewusstsein zur Handlung?

Die inm stärkt die Freie Szene der neuen Musik bereits durch finanzielle und ideelle Förderung. Mit der Kampagne »field notes« gibt es jetzt zudem das explizite Ziel, durch Öffentlichkeitsarbeit eine größere Sichtbarkeit der Szene in der Kulturlandschaft zu erlangen. Die Szene zu konsolidieren liegt allerdings nicht allein in den Händen der inm. Es kommt auf die Mitarbeit der verschiedenen Akteure an, denn dort liegt das grundlegende Potenzial. Daher müssen wir daran denken, was man von außen über Berlin sagt: „Das ist der Ort, an dem alles passiert!“. Dieses Denken muss sich auch in der Stadt verankern. Die Freie Szene der neuen Musik ist ein grundlegender Bestandteil der Berliner Kulturlandschaft. Wenn das nur mehr Leute wüssten…

Andreas Engström

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