Was bedeutet »Koaxula«?
Natalia Escobar: Das ist ein erfundenes Wort. Wir haben mit verschiedenen Buchstaben gespielt. Weil die Idee unseres Projekts war, Narrative neu zu erfinden und hybride Arbeiten zu schaffen, schien ein erfundenes Wort passend.
Wie ist es zu eurer Zusammenarbeit gekommen?
NE: Die Kurator*innen Sally Montes und Rogelio Sosa haben die Reihe »El Sonido Que Atraviesa« (dt. »Der durchdringende Klang«) im CCD, dem Centro de Cultura Digital in Mexico-Stadt, geleitet. Sie haben uns zu einer Residenz eingeladen, bei der wir ein zum Abschluss der Reihe ein ortsspezifisches Projekt entwickeln konnten.
Der Titel eurer neuen Performance ist »Deslenguadas«. Für den Begriff findet man alle möglichen Übersetzungen von »glattzüngig« bis »ungeschrieben«. Wie würdet ihr ihn übersetzen?
NE: »Deslenguadas« heißt wortwörtlich übersetzt »ohne Zunge« oder »herausgeschnittene Zungen«. Im übertragenen Sinne meint es den Verlust der Stimme und die Gewalt, von der historisch Marginalisierte, Kolonisierte und Unterdrückte betroffen sind. Glaubenssysteme wurden aufgezwungen, Sprachen zerstört. In »Deslenguadas« repräsentieren Tänzerinnen diejenigen, deren »Zunge herausgeschnitten wurde« und nun ihre Stimme wiederfinden. Auf dieser Reise findest du deine Stimme wieder.
Daniela Huerta: In unserem Mythos »Deslenguadas«, wurden diese Zungen in den Abgrund eines Schlangenmauls geworfen, den Ouroboros. Sie wurden versteinert und blieben in einem Schlafzustand erhalten, als ob sie im Maul der Schlange brüten würden, bewacht von Reihen gefährlicher Zähne – einer Art »Vagina Dentata«. Die klangliche Energie ihrer Peitschen ermöglicht den Deslenguadas den Übergang zwischen verschiedenen Dimensionen. Sie reisen damit in die Unterwelt und suchen die zerstörerischen und transformativen Kräfte, die sexuelle Macht und die Worte der abgetrennten Zungen verschiedener weiblicher Wesenheiten, die dort leben. Es ist eine Rückkehr in die Wildnis, eine Wiedervereinigung mit ihrer dunklen, animalischen Seite und der verborgenen Macht der Großen Ouroborischen Mutter.
Baut die Performance, die ihr in der Kuppelhalle präsentiert, auf das auf, was ihr bei der Performance in Mexico gemacht habt?
NE: Ja, das wird sie. Seit Mexiko haben wir die Komposition weiterentwickelt. Wir lassen Aufnahmen von den CCD-Performances einfließen, die mit verschiedenen Syntheseverfahren bearbeitet sind. Wir werden die Komposition und die Performance weiter auf die Geschichte und die klanglichen Qualitäten der Kuppelhalle abstimmen. Die Zusammenarbeit mit neuen Tänzerinnen wird dem Stück eine andere Energie verleihen. Wir werden außerdem den Einsatz von Peitschen erweitern, nicht nur akustisch, sondern auch performativ. Da gibt es noch viel zu erforschen.
DH: Wir werden mit der deutschen Choreografin Marie Zechiel und drei Berliner Tänzerinnen arbeiten. Das wird also etwas ganz anderes entstehen als das, was wir in Mexiko gezeigt haben, weil sie den Mythos in einem neuen kulturellen Kontext interpretieren. Die Erzählung entwickelt ein eigenständiges Leben, wenn sie durch die Aufführung an bestimmten Orten erweitert wird. Außerdem wird es sich definitiv darauf auswirken, wie wir unser Stück vor Ort entwickeln, dass es in der Kuppelhalle stattfindet, einer Trauerhalle und dem ersten Krematorium in Berlin, das von der sich wandelnden Auffassung vom Tod zeugt.