Sinnvolle Maßnahmen auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit in der Kulturförderung wären meiner Ansicht nach:
1. Die radikale Entbürokratisierung der Kulturförderung
Stellen Sie sich vor, man würde Verwendungsnachweise für die Finanzierung von Kulturprojekten aus öffentlichen Mitteln abschaffen – wieviel Zeit würden Verwaltung und Zuwendungsempfänger*innen gewinnen, die nachhaltig genutzt werden könnte! Wie bei einem Stipendium müssten Projekte nicht centgenau abgerechnet und geprüft werden. Stattdessen würden die Künstler*innen am Ende in Wort, Bild, Ton oder in einer hybriden/digitalen Form ausführlich über das Projekt berichten. Das würde allen am Projekt Beteiligten erlauben, während der Projektphase freier zu agieren, ihr spezifisches Wissen und Können optimal einzusetzen. Die Phase der Postproduktion wäre nicht hauptsächlich darauf zu verwenden, Belege zu sortieren und über Excel-Tabellen zu stöhnen, sondern würde einen Raum öffnen, um einen selbstkritischen Blick auf das Geschaffene zu werfen, einen ehrlichen und offenen Austausch mit der Öffentlichkeit zu führen. Kurz: Man könnte innehalten und resümieren.
Was wie eine Utopie klingt, wird schon seit geraumer Zeit von einigen Verwaltungsexpert*innen gefordert. Denn natürlich hat der*die Bürger*in ein Recht darauf, zu wissen, wie öffentliche Mittel im Kunst- und Kulturbereich eingesetzt werden. Aber die Verhältnismäßigkeit von vertieften Prüfungen im Bereich der Förderhöhen, die zum Beispiel vom Musikfonds ausgereicht werden – maximal sind das 50.000 Euro pro Projekt – steht zu Recht in Frage.
Eine der wichtigsten Grundlagen für mehr Nachhaltigkeit ist eine gute Kommunikation zwischen Förderinstitutionen und Zuwendungsempfänger*innen, und zwar auf Augenhöhe. Weniger Prüfung, mehr Unterstützung in der Projektabwicklung wäre hier die bessere Investition. Dies würde sowohl die Zuwendungsempfänger*innen nachhaltig befähigen, ihre Projekte gut im Griff zu haben, als auch die wirtschaftliche und zweckentsprechende Verwendung der öffentlichen Mittel sichern. Bürokratie verhindert gute Kommunikation.
2. Vertrauen und eine flexiblere Umsetzung der geförderten Projekte
Jede Juryentscheidung basiert auf dem Projektantrag, in welchem das künstlerische Konzept möglichst konkret beschrieben ist. In einem Projektantrag sind detaillierte Angaben zum künstlerischen Konzept, zu den beteiligten Künstler*innen, zu den Aufführungsorten und zu den für das Projekt geplanten Ausgaben zu machen. Aufgabe der Förderinstitution ist es, zu gewährleisten, dass ein gefördertes Projekt möglichst so wie im Antrag beschrieben umgesetzt wird. Wenn das Projekt in der Umsetzung nicht mehr dem im Projektantrag beschriebenen entspricht, wird es unter Umständen problematisch. Kunst- und Kulturproduktion funktionieren aber nicht nach Plan! Künstlerische Konzepte verändern sich - gerade in einem zeitgenössischen, hierarchiefreien Kontext – beim Probieren, Spielen, Komponieren, Diskutieren und Realisieren. Dazu kommen – durch die Pandemie extrem verstärkt – ständig unerwartete Änderungen der Produktionsbedingungen, auf die improvisatorisch reagiert werden muss. Das macht den künstlerischen Prozess im Kollektiv ja so spannend. Wir sollten Kunst- und Kulturprojekte als offene, nicht zweckbestimmte Investitionsmaßnahmen in die Zukunft verstehen, deren Formate und künstlerische Umsetzung – nicht die der Förderentscheidung zugrunde liegende Idee – sich laufend ändern können. Wir sollten den Künstler*innen vertrauen und ihnen genug Gestaltungsfreiheit geben, damit sie die jeweils beste Form der Umsetzung für ihr Projekt finden.
3. Längere Förderzeiträume und Initiativförderung
Das Problem der sogenannten Projektitis ist in pandemischen Zeiten besonders augenfällig, da Solo-Selbstständige in der Regel sozial nicht abgesichert sind. Freischaffende Künstler*innen, freie Kurator*innen und unabhängige Festival-Macher*innen hangeln sich ohne Aussicht auf Planungssicherheit fortwährend von Projekt zu Projekt. Was spricht gegen eine langfristigere nachhaltige Förderung? Wenn aber ein*e Musiker*in, ein Ensemble, eine Band, ein Orchester seit mehreren Jahren auf professionellem Niveau Musik macht und produziert, dann wäre eine mittelfristige Förderung zum Beispiel für einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren sinnvoller. Die Förderentscheidung könnte sich dann an der bereits erbrachten künstlerischen Leistung orientieren und wäre eine Investition in die künstlerische Entwicklung. Gerade die jüngere Generation braucht solche Möglichkeiten. Die Geförderten hätten dann eine klare Perspektive und weniger Existenzangst, beides führt zu interessanteren Entwicklungen der künstlerischen Identität und Autonomie. Der Zwang, sich laufend neue Ideen und Konzepte für Projektanträge ausdenken zu müssen, ermüdet alle Beteiligten – auch die Juror*innen, die die Antragsprosa lesen müssen. Nicht nur während der Krise ist der Fokus auf immer neue Projekte zu hinterfragen. Sinnvoller scheint mir, langfristige künstlerische Prozesse ergebnisoffen zu unterstützen. Förderinstitutionen sollten auch die Möglichkeit haben, initiativ zu fördern, also Künstler*innen und Ensembles zur Förderung auswählen zu dürfen, die keinen Antrag stellen. Das tun nämlich längst nicht alle, der Bürokratie wegen.
4. Aufstockung der Mittel für die Freie Szene
In der Corona-Krise wurde der Musikfonds durch das Hilfspaket Neustart Kultur der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) großzügig mit zusätzlichen Mitteln versorgt. Dadurch konnte ein Stipendienprogramm aufgesetzt werden, das viele Künstler*innen zunächst vor einem finanziellen Bankrott bewahrt. Auch die Projektförderung konnte kurzfristig aufgestockt werden. Das ist großartig, und wir sind dafür sehr dankbar! Aber in den kommenden Jahren bleibt das reguläre Budget des Musikfonds voraussichtlich unverändert. Zwei plus zehn Millionen in den Jahren 2020/21 – ab 2022 hat der Musikfonds höchstwahrscheinlich wieder „nur“ die regulären zwei Millionen Euro, die jeder der sechs Bundesfonds für die Künste aus dem Etat der BKM erhält. Insgesamt haben alle Bundesfonds zusammen jährlich regulär ein Budget von zwölf Millionen Euro – das ist ein verschwindend geringer Anteil des Gesamtetats der BKM, der in 2021 auf insgesamt 2,14 Milliarden gewachsen ist. Die Freie Szene hat im Verhältnis zu ihrer künstlerischen Bedeutung und ihrem Innovationspotenzial viel zu wenig Zugang zu diesen gut zwei Milliarden. Zum Vergleich: Alle sechs Bundesfonds zusammen haben ein kleineres Budget als der Hauptstadtkulturfonds in Berlin, der mit Bundesmitteln ausschließlich Projekte fördert, die in Berlin stattfinden.
Auch in Berlin bleibt das Problem, dass insgesamt viel zu wenig Mittel für die Freie Szene zur Verfügung gestellt werden, obwohl die Kulturverwaltung zum Beispiel mit dem Rückkauf des Radialsystems oder der Entwicklung der Alten Münze als geplanter Standort der Freien Szene unglaublich tolle, ermutigende Signale aussendet: Trotzdem fließen laut Website der Senatsverwaltung für Kultur und Europa gerade mal fünf Prozent des Kulturhaushalts in die Einzel- und Projektförderungen, inklusive Hauptstadtkulturfonds. Fünf Prozent! Rechnet man die institutionelle Förderung von Orten der Freien Szene hinzu, steigt dieser Satz nur geringfügig.
Einigen Überlegungen muss sich die Kunst- und Kulturszene – und die Freie Szene ist davon nicht ausgenommen – allerdings selbst stellen. Geht man davon aus, dass der Einsatz von Steuergeldern durch den Rückhalt maßgeblicher Anspruchsgruppen und der Bevölkerung insgesamt legitimiert werden muss, stellt es ein Problem dar, dass sich angeblich nur fünf Prozent der Bevölkerung für die sogenannte Hochkultur interessieren. Wenn dieser Prozentsatz angehoben werden soll, muss sich etwas ändern. Mehr Geld alleine wird das Problem nicht lösen, es braucht andere Förderstrukturen und -ansätze. Und es braucht die Anstrengung der Künstler*innen – wir müssen versuchen, die anderen 95 Prozent der Gesellschaft zu erreichen. Leicht ist das nicht, aber ich sehe viel Potenzial.