Was das erste Jahr Coronakrise schmerzlich gezeigt hat: dass es kein funktionierendes Auffangnetz für solo-selbstständige Kulturschaffende gibt. Erwischt hat es uns alle an einem kritischen Punkt der Transformation von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft: Arbeit und Arbeitssicherung werden noch immer nach den Regeln der Industriegesellschaft organisiert bei einer allenthalben steigenden Bedeutung von selbstständigen Wissens- und Kulturschaffenden, die ihrerseits seit der Jahrtausendwende zunehmend den Zugriff auf die Verwertung ihres geistigen Eigentums an transnationale Plattformen verlieren.
Die Bundespolitik steckt in der Coronakrise fest in diesen Widersprüchen, so dass die ersten Opfer der Krise - die performativen Künstler*innen - ein Jahr mit Hilfsgeldern geknebelt wurden, die sie nicht verausgaben durften, aber versteuern und zurückzahlen sollten. Absurderweise waren das einzige funktionierenden Modell Stipendien, die ja ihrer Natur nach nicht Hilfen, sondern pauschale Zuschüsse für Arbeitsvorhaben sind und als Masseninstrument in der Krise aber den Charakter von Bedingungslosigkeit haben – einem Wort, das keine*r der Kulturfunktionär*innen in den Mund nehmen mögen, die den kurzen Draht zur Politik behalten möchten. Der starke Widerstand der Bundespolitik jeglichen echten Zuschüssen an Soloselbstständige gegenüber hat sicherlich ihren Ursprung in der Angst, über eine reale Anhebung von Existenzminima in Hartz IV auch Mindestlöhne und Eingangssteuersätze anheben zu müssen.
2021 ist Superwahljahr mit Bundestagswahl und fünf Landtagswahlen. Spätestens jetzt wird es allerhöchste Zeit, ernsthaft und ohne Scheuklappen zu diskutieren, wie Arbeit und Arbeitssicherung für Selbstständige Kultur- und Wissensproduzenten in Zukunft organisiert und finanziert werden kann. Die zur Zeit denkbaren Modelle reichen wohl von einer Arbeitslosenversicherung für eine kleine Gruppe von KSK-Versicherten über ein reformiertes Arbeitslosengeld I bis hin zu einer echten Grundsicherung – als deutlich reformiertes Hartz V – oder bis zu den politischen Tabus von bedingungslosem Grundeinkommen oder negativer Einkommenssteuer. Gleich, welcher Weg gewählt wird: Berücksichtigt werden müssen die geringen Durchschnittseinkommen, niedrige Zugangshürden und Beitragsgrenzen und Erträge auf einem Grundsockel, der Empfänger*innen im Fall von Arbeitslosigkeit nicht doch zu Sozialfällen macht.
Woher das Geld dafür nehmen? Aus einer Finanztransaktionssteuer und der Besteuerung transnationaler Plattformen.
– Matthias Mainz, Komponist und Kurator
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