Nina Polaschegg: Schon seit langem beschäftigen dich performative Aspekte des Musikmachens. Nun hast Du drei Künstlerinnen mit einem neuen Werk beauftragt, ein Stück zu entwerfen, bei dem Du ohne dein Instrument auf der Bühne agierst. »Tossed Sounds« bedeutet »Geworfene Klänge«. Wie kam es zu diesem Projekt?
Andrea Neumann: Beim Musikmachen interessiert mich seit Langem auch das, was nicht rein mit Klangerzeugung zu tun hat. Wie geht man auf die Bühne? Wie bewegt man sich, wenn man sein Instrument spielt? Das ist ja in verschiedenen Musikrichtungen unterschiedlich. Die ganze Bühnenpräsenz ist geprägt von Codes und es sind immer Inszenierungen. Ich finde es spannend, diese anzuschauen. Gleichzeitig interessiert es mich, Wege zu suchen, wie ich mich von meinem Instrument entfernen kann und trotzdem noch als Musikerin agiere. Ich habe schon mehrere Stücke gemacht, in denen ich mit synchronisierten Klängen spiele, die mich dazu befähigen, vom Instrument wegzugehen. In »Tossed Sounds« wollte ich dieses Band ganz zerreißen, zwischen mir und dem Instrument. Und zwar mit zwei Fragen: Was bleibt von mir als Musikerin übrig, wenn mein Instrument weg ist? Und: Kann man meine Motivation des Musikmachens auch anders sichtbar oder erfahrbar machen als ich es selbst als Innenklavierspielerin tue?
N: In allen drei Projekten, die Künstlerinnen verschiedener Profession entwickelt haben, geht es um Übersetzung deiner Arbeit als Musikerin in ein Werk, das ohne Instrument auskommt. Was genau wird hier übertragen?
A: Es geht vor allem darum, wie die beiden Künstlerinnen meine Beziehung zum Instrument interpretieren. Sie entwerfen ihr eigenes Porträt von mir und meinem Instrument. Natürlich spielt da auch ganz viel deren Sozialisation mit hinein.
N: Fernanda Farah ist vor allem in Schauspiel und Tanz beheimatet, Antonia Baehr ist Choreographin und widmet sich intensiv der Performance und die Dritte im Bunde bist Du selbst als Musikerin. Was erwartet die Besucher*innen in deinem Konzert ohne Instrument?
A: Fernanda Farah hat mich beim Spielen genau beobachtet und etwas für viele Musiker*innen Typisches festgestellt: Das Publikum bekommt fast nie das Gesicht zu sehen. Es gibt eine symbiotische Einheit zwischen Musiker*in und Instrument – Die Kommunikation mit dem Publikum findet nur über die Ohren statt. Dafür hat sie versucht, visuell Bilder zu finden. Ich arbeite in ihrem Stück mit einem Tisch statt mit einem Instrument.
Antonia Baehr hatte in einem Konzert das Gefühl, dass die Luft aufgeladen sei von einem Feedback, das zwischen Instrument und Lautsprecher entstanden ist. Jede kleinste Bewegung hat eine Reaktion ausgelöst. Das wollte sie ohne Instrument nochmal erzeugen. Ich produziere also eine Menge Feedbacks. Auch meine Präparationen spielen eine Rolle. Es gibt eine Choreographie am Boden und ich bespiele meinen eigenen Körper.
N: Bei deinem eigenen Stück ist zwar dein Instrument abwesend, aber die Klänge sind hörbar.
A: Ja, es hat mich gereizt, dass ich in diesem Stück die Gelegenheit habe, für 6 Speaker Innenklavier-Klänge zu mischen und übereinander zu legen wie ich es live nie könnte. Ich habe schon öfter mit Bewegungen gearbeitet, die den Anschein erwecken, dass ich mit ihnen den Klang triggere. Erst wirkt es auch in diesem Stück so, als hätte ich die Kontrolle über die Klänge, aber das Ganze dreht sich irgendwann um.
N: An wen richtet sich dieses Projekt? An Konzertbesucher*innen, die dich oft gehört und gesehen haben am Instrument oder an solche, die dich nicht kennen?
A: Natürlich ist es viel einfacher, die Referenz zu verstehen, wenn man mich kennt. Aber die Hoffnung ist, dass das, was entsteht, so viel Kraft entwickelt, dass es für sich steht und besondere sinnliche Erfahrungen möglich werden. Gleichzeitig ist es auch spannend, zu sehen, wie unterschiedlich die Leute mitgehen und in welche Richtung sie interpretieren. Denn es gibt nicht eine 1:1-Lösung, die neuen Stücke sind vieldeutig. Eine Übersetzung ist nie dem Original gleich, sondern immer etwas Neues darüber hinaus.
N: Künstlerische Übersetzung ist ja immer eine »Übersetzung Plus«. Eine Tänzerin wird automatisch anders auf eine Musikerin blicken als eine Musikerin, da beide aufgrund ihrer Professionen und damit eingeschriebenen Primärwahrnehmungen andere Decodierungsvoraussetzungen und neuronale Verknüpfungen mitbringen. Wie geht es dir selber als Beobachterin 2. Ordnung deiner selbst?
A: Es geht mir um eine Erweiterung der Ausdrucks- und Handlungsmöglichkeiten über das eigene musikalische „System“ hinaus. Dieses System habe ich über Jahre hinweg entwickelt – es anzuschauen, die Grenzen wahrzunehmen und möglicherweise zu überschreiten ist eine Herausforderung und extrem bereichernd. Eine musikalische Praxis ist natürlich auch ein Schutz – es geht hier um einer Art Entkleidung. Erst habe ich das Klavier von Tastatur und Holzrahmen entkleidet; jetzt entkleide ich mich des Innenklaviers …
Etwas ganz Zentrales, das mir gerade in den vergangenen Monaten aufgefallen ist, hat ganz aktuellen Bezug. Abwesenheit ist seit dem ersten Lockdown ein zentrales Phänomen. Gerade jetzt wird vielen von uns bewusst, dass ein Streaming-Konzert kein Live-Konzert ersetzen kann. Ich merke, wie sehr die Anwesenheit von Zuhörenden Teil des Musikprozesses sind. Dadurch, dass etwas nicht mehr da ist, werden wir uns dessen stärker bewusst. Und das steckt auch in diesem Projekt, einerseits nimmst du das Instrument weg und es wird wahnsinnig präsent. So wird vielleicht auch Raum frei für Transformation.
Ein Wunsch von mir wäre, dass ich durch die Erfahrungen ohne Instrument verändert an mein Instrument herantreten kann und dass meine Möglichkeiten, Musik über Klang hinaus zu erfahren, größer werden.
N: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Und gutes Gelingen!
→ Ballhaus Ost
26. + 27.02.2021, jeweils 20 Uhr
TOSSED SOUNDS
Drei Stücke für abwesendes Innenklavier von Antonia Baehr, Fernanda Farah und Andrea Neumann
performt von Andrea Neumann, Gastperformer: Bryan Eubanks, Dramaturgie: Sabine Ercklentz