»Die Künstlerinnen sollen sich austauschen und gegenseitig inspirieren.« Daniela Fromberg über »Gegensprechanlage«

Es ist 12 Uhr mittags und Daniela Fromberg sitzt in ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg. Es ist dasselbe Haus, dessen geräuschvolle Sanierung sie gemeinsam mit Stefan Roigk zu einer Klanginstallation verarbeitet hat und die vor Kurzem als LP mit dem Titel »Unfamiliar Home« über das Berliner Label Edition Telemark erschienen ist. Die Klangkünstlerin ist Kuratorin einer im Rahmen des Monats für zeitgenössische Musik stattfindenden Ausstellung, die mit ihrem Titel im häuslichen Umfeld bleibt: »Gegensprechanlage«. Die darin gezeigten intermedialen Werke verhandeln Klang installativ, performativ und grafisch. Ein Gespräch über die Grenzen zwischen Geräusch und Musik, die mangelnde Dokumentation und Repräsentation der Werke weiblicher Künstlerinnen und das Miteinander von Klang und anderen Medien.

Welche Qualität muss ein Geräusch haben, damit du es aufnehmen möchtest?

Ich habe einen Sammelzwang und arbeite viel mit Fundstücken und Material, das mir im Alltag begegnet. Manchmal besitze ich Objekte schon sehr lange, bevor ich sie in einer Installation verwende. Ich habe zum Beispiel eine hundert Jahre alte Steinsammlung. Im Laufe des künstlerischen Prozesses mache ich Tonaufnahmen und untersuche das Material genauer. Karton macht beispielsweise tolle Geräusche, denn er verstärkt bereits vorhandene Sounds und dann entsteht ein richtiges Dolby-Surround-Gefühl. Die Arbeit, die von mir in der Ausstellung zu sehen sein wird, ist eine mehrkanalige Klanginstallation, in der Glasröhren und Mini-Lautsprecher eine zentrale Rolle spielen.

Wie bist du zur Klangkunst gekommen?

Ich habe 1993 Bildhauerei studiert. Zuerst an der Fachhochschule Hannover, später in Mexiko-Stadt. Als ich mit dem Grundstudium fertig war, wurde in Hannover der Berliner Klangkünstler Ullrich Eller zum Professor berufen. Es gab ein offenes Symposium und Eller hat dort Klang als plastisches Material unterrichtet. Er suchte immer nach der installativen Verzahnung von Klang und Objek. Wir Student*innen waren frei und konnten sehr explorativ arbeiten. Wichtig war ihm nur, dass es nicht musikalisch wird, sondern es vielmehr darum ging, Zustände und Situationen zu schaffen.

Wo verläuft die Grenze – wann wird ein Geräusch zu Musik?

Das ist sehr intuitiv. Bei uns haben damals tatsächlich auch viele Musiker*innen studiert. Die Hochschule war klein und der Austausch sehr offen. Die heutige Klangkunstszene in Berlin erlebe ich auch als sehr vielfältig. Neulich war ich auf einer Veranstaltung und habe gestaunt, wer alles da war. Vieles, was heute als Klangkunst gilt, wurde damals noch als experimentelle Musik bezeichnet.

Du gibst auch Workshops, in denen du mit Kindern Klang erforschst. Was erlebst du dort im Gegensatz zum Umgang der Erwachsenen mit Geräuschkulissen?

Wir denken oft: »Ah, das ist dieses Geräusch und es bedeutet das.« Ich erinnere mich daran, dass uns im Studium mal wellenartige Sounds vorgespielt wurden und alle dachten, es sei Meeresrauschen. Tatsächlich aber waren es die an- und abschwellenden Motorengeräusche an einer Ampel. Viele Geräusche sind für uns normal und wir sprechen kaum darüber. Kinder hingegen wundern sich noch über das, was sie hören. In unseren Workshops untersuchen wir Gegenstände und Dinge, die wir draußen finden, sprechen darüber und führen kleine Stücke auf. Die Kinder müssen sich aus ihrer Komfortzone bewegen, um sich auszudrücken. Das fördert auch die Entwicklung der Sprache.

Eine Gegensprechanlage hängt fast in jedem Mietshaus und hilft, Distanz zu überwinden. Wer kommuniziert denn in eurer gleichnamigen Ausstellung mit wem und warum?

Künstlerinnen, die sich auf dem Gebiet etwas zu sagen haben, sollen sich austauschen und gegenseitig inspirieren. Gleichzeitig geht es aber auch um Interaktionen mit dem Publikum. Die Besucher*innen kommen mit ihrem interdisziplinären Interesse an Kunst und Musik in unsere Ausstellung, in der die Künstlerinnen schon vorher nach Synergien in ihren Werken gesucht haben und miteinander in einen Dialog getreten sind.

Der Verein der Berliner Künstlerinnen 1867, in dem die Ausstellung zu sehen sein wird, ist einer der ältesten Vereine für kunstschaffende Frauen. Frühere Mitglieder waren neben Paula Modersohn-Becker oder Käthe Kollwitz auch weniger bekannte Künstlerinnen wie Milly Steger. Warum weiß man von weiblichen Künstlerinnen so wenig?

Der Verein hatte mal 900 Mitglieder, und das waren alles Frauen. In den achtziger Jahren waren es dann nur noch sehr wenige. Es wird oft behauptet, dass es nicht so viele gute weibliche Künstlerinnen gab, aber das ist Quatsch. Die Problematik besteht darin, dass ihre Arbeiten zu wenig dokumentiert wurden. Viele Künstlerinnen haben so für ihr Metier gebrannt, dass sie keine Kinder bekommen haben. Und wenn sie dann keine Meisterschülerinnen hatten, waren sie eben auch schneller vergessen. Es ist wichtig, dass wir die Arbeit von Frauen in den Kanon zurückzuholen und sichtbar machen. Als ich letztes Jahr in den Verein eingetreten bin, habe ich einen Aufruf gestartet. Es haben sich sehr viele Künstlerinnen gemeldet.

Es sind dennoch fast keine Klangkünstlerinnen bei »Gegensprechanlage« mit dabei, oder?

Es war mir wichtig, dass die Ausstellung für alle Kunstformen offen ist, auch wenn sie nicht unbedingt zum Monat der zeitgenössischen Musik gehören. Die Arbeiten sind aber mit Musik verbunden und beleuchten Varianten des Zusammenspiels von Musik und bildender Kunst. Für die Arbeit »Weißer Regen« hat Harriet Groß verschiedene Aufnahmen von Regen gemacht. Die Linien ihrer Notationen lassen sich als Denkprozesse lesen, die ihrem eigenen Rhyth­mus folgen. Kürzlich wurde ihr Zyklus auch vertont. Andere Künstlerinnen haben sich von Musik inspirieren lassen, wie zum Beispiel Zuzanna Skiba. Ihr Werk »Primus« ist entstanden, während sie Cage und Satie hörte. Ihre Malerei besteht aus um sich selbst wirbelnden Formen, Linien und Dynamiken, und sieht fast wie eine Partitur aus. Die Künstlerin Karla Woisnitza hat ein handtellergroßes Buch zu Jean Sibelius angefertigt. Das werden wir auf einem Notenständer ausstellen.

Es wird auch eine Komposition der aus Odessa kommenden ukrainischen Künstlerin Karmella Tsepkolenko zu hören sein. Wie kam es dazu?

Die multimedial arbeitenden Künstlerin Gisela Weimann zeigt aufgrund des Kriegs nun eine andere Arbeit als zunächst geplant. In ihrer Performance »Im Garten der Komponistinnen«, die ursprünglich einen Zyklus von zwölf Kompositionen umfasst, wird Tsepkolenkos Arbeit als Video abgespielt werden. Weimanns Installation besteht aus pflanzenartig geformten Trabbi-Autospiegeln und einem Mantel mit Rosenmotiven. Nach der Wende bekamen diese Spiegel eine besondere Symbolik. Die Arbeit ist auch 30 Jahre später vor dem Hintergrund des Krieges in Ukraine und auch mit Hinblick auf grenzüberschreitende Umweltprobleme relevant.

Wird es noch mehr Arbeiten geben, in denen sich Sprache, Musik und Kunst verbinden?

»Wenn das Herz singt und flüstert zur einsamen Welt!« ist eine Installation mit Malerei und Spoken Poetry der in Berlin lebenden bangladeschischen Künstlerin Murshida Arzu. In Zusammenarbeit mit Pierre-Frédéric Bouvet zeigt sie erstmals Malerei und kombiniert sie mit gesprochener Lyrik aus englischen und bengalischen Sprachfragmenten.

Im Rahmen ihrer Reihe Orte und Räume wird das Vokalensemble Maulwerker den urbanen Raum akustisch erfahrbar machen. Sie führen das Werk »YOU« der Fluxus-Künstlerin Anne Noël neu auf. Worum geht es in der Performance?

Die Maulwerker und Ann Noël stehen seit langem in Kontakt miteinander. Die Partitur besteht aus über 400 Zeichnungen des Buchstabens »i« und basiert auf einem Buch, das Noël im Jahr 1982 veröffentlicht hat. »I« steht dabei für »ich«. Das darf als Kommentar zur extremen Individualisierung der westlichen Gesellschaft gelesen werden. Als ich das Stück im letzten Jahr im Ballhaus Ost sah, war ich sehr begeistert und wollte es nochmal zeigen. Für die neue ortsspezifische Außenraumfassung im Rahmen der Ausstellung übersetzt die Künstlerin Steffi Weismann die Grafiken in eine Video-Partitur, die das Ensemble im kollektiven Prozess interpretiert. Es wird ein 45-minütiges Programm mit Uraufführungen von Ariane Jeßulat und Henrik Kairies sowie einem Werk der ukrainischen Komponistin Karmella Tsepkolenko geben. Alles findet am letzten Abend in der Dämmerung eines typischen Berliner Hinterhofs im beginnenden Herbst statt.

Das Interview führte Franziska Herrmann.