Andreas Engström & Bastian Zimmermann (Positionen): »Auch Kulturzeitschriften brauchen eine Förderstruktur!«
Gehören Kulturzeitschriften eigentlich zu den Szenen, über die sie berichten? So oder so: Bei ihnen kommt die Krise mit Verspätung an, wie Andreas Engström und Bastian Zimmermann vom Magazin Positionen in ihrem Statement für #FreieSzeneFreierFall berichten. Doch muss auch ihnen geholfen werden.
Alle mögen sie, alle schätzen sie und alle möchten gerne eine Rezension über das eigene Konzert, Festival oder Ausstellung lesen. Doch wenn wir vom freien Fall der Freien Szene sprechen – was ist denn überhaupt mit den Kulturzeitschriften? Gehören sie überhaupt zu dieser?
Die Pandemie hat im März 2020 die Musik- und Kunstszene direkt getroffen. Über Nacht wurden Konzerte abgesagt und plötzlich standen die Musiker*innen ohne Arbeit, Geld, oft sogar ohne Verträge da. Erste öffentliche Hilfsgelder kamen hierzulande schnell. Auch die Kulturzeitschriften konnten darauf zugreifen, denn die Pandemie hat auch sie getroffen.
Bei der Produktion des Mai-Hefts der Positionen wurde deutlich, dass die Anzeigeneinnahmen viel niedriger als im Durchschnitt sein werden. Denn Festivals, die im Sommer hätten stattfinden sollen, wurden eingestellt. Der Kulturmarkt schrumpfte. Keine Veranstaltungen, also auch keine Werbung dafür, das heißt: Weniger Einnahmen, mit denen sich ein Magazin wie unseres seine Existenz absichert.
Mit dem folgenden August-Heft wurde es besser. Man spürte einen Zurückgang zur Normalität, einen Optimismus. Und das Geld, die Projektförderungen waren noch da. Mit dem neuerlichen Lockdown zum Jahreswechsel 2020/21 konnten wir jedoch kurz darauf wieder die schwereren Zeiten spüren. Dieses Mal fühlte es sich anders an. Die Budgets waren nach einem Jahr Pandemie ausgelastet und die Festivals wussten nicht, ob sie nach der Pandemie weiterzuleben vermögen. Als erste Einsparmaßnahme erfolgte in der Regel die Kürzung des Marketingbudgets. Keine Anzeigen, keine Flyer.
Die Kulturszene ist vielschichtig, sie funktioniert wie ein Ökosystem. Künstler*innen, Publikum, Kritiker*innen, Journalist*innen, das Marketing, Kurator*innen, Kunstwissenschaftler*innen, Konzertveranstalter*innen, Institutionen: Es gibt sie alle und kein Element kann davon weggenommen werden. Geld kommt von Förderern und dem Publikum und fließt daraufhin zwischen den verschiedenen anderen Instanzen. Dazu braucht es alle der Player*innen. Auch die Kulturzeitschriften, die alle so mögen und schätzen und von denen man gerne rezensiert werden möchte.
Kulturzeitschriften sind die aktiven Beobachter*innen, das ist Teil ihres Auftrags. Unsere Zeitschrift Positionen ist eine gute Beobachterin und das nicht nur, weil wir eine professionell aufgestellte Zeitschrift mit super Mitarbeiter*innen sind. Wir sind es auch, weil wir die Szene kennen, darin viele Abonnent*innen haben und von vielen Seiten in vielen Belangen kontaktiert werden. Wir sehen, wie die Szene funktioniert und ebenso, wo wir uns in diesem Kreislauf befinden…
…und zwar meist am Ende dieser Ketten. Die Veränderungen seit mehr als einem Jahr haben uns und die Kulturzeitschriften hart getroffen. Es handelt sich um einen Dominoeffekt, von dem wir zuletzt erfasst werden. Erst werden die Konzerte und Festivals abgesagt, dann…
Kulturzeitschriften sind wichtig für alle Teile eines kulturellen Ökosystems. Die meisten verstehen es, dass eine Zeitschrift zu mögen und zu schätzen bedeutet, eine Zeitschrift zu lesen und zu abonnieren. Sie verstehen auch, dass, wenn Geld hineinfließt, auch etwas herauskommt, das der gesamten Szene zugutekommt. Aber es besteht ein großer Unterschied zwischen Positionen und den meisten anderen Akteur*innen der Szene: Wir wirtschaften auf dem freien Markt. Noch gibt es keine ausgezeichnete Förderstruktur für Kulturzeitschriften in Deutschland. Wir vertrauen auf Anzeigenbuchungen und Abonnementbestellungen.
Aber was passiert, wenn die übrige Szene kein Geld mehr hat fürs Marketing? Wenn man nicht mehr die Abos bezahlen kann? Wenn der Kreislauf also unterbrochen wird? Erste Anzeichen verspüren wir nach einem Jahr Pandemie. Und es bleibt offen, ob es sich um Zeichen einer »Krise der Moral« oder schlichter Zahlungsunfähigkeit handelt.
Auf jeden Fall hat die Pandemie uns mehr als zuvor gezeigt, dass es auch für die Kulturzeitschriften eine staatliche Basis-Förderstruktur braucht, damit sie nicht in den freien Fall übergehen und vielmehr stark in die Zukunft hineinwirken können.
- Andreas Engström & Bastian Zimmermann