Krächzen, singen, hauchen, stöhnen, sprechen, schreien

Krächzen, singen, hauchen, stöhnen, sprechen, schreien

Kann ein Ton, eine Melodie oder ein Rhythmus wirklich etwas bedeuten? Oder ist Musik nur ein hermeneutisch abgeschlossenes Regelsystem? Eine Sonderstellung in der Frage nach dem semantischen Gehalt von Musik nimmt die Singstimme als Instrument ein (weswegen sie in der Regel ausgeklammert wird). Was mit ihr musiziert wird, lässt sich kaum von den Assoziationen und Bedeutungen trennen, die durch die menschliche Sprache entstehen. Das betrifft das gesamte Spektrum an musikalisierter Stimme –vom klassischen, durch jahrzehntelanges Training geformten Gesang bis zu gepresstem, wortlosem Krächzen. Dieses Spektrum hat das isländisch-deutschen Ensemble Adapter bei Voiceover zum Auftakt der Saison genauer unter die Lupe genommen. In Kombinationen von zwei bis vier Musiker*innen wurde die Stimme mit Holzbläsern, Perkussion und Elektronik gepaart. Unter den fünf Stücken waren die am interessantesten, in denen weder gesungen noch gesprochen wurde, sondern gekeucht, gequiekt oder gehaucht.

Zum Auftakt spielten sie Series Imposture von David Bird für Stimme, Flöte, Klarinette und Schlagzeug. Die erste Hälfte besteht aus simplen homophonen Figuren in denen sich die Stimme versucht mal als Klarinette, mal als Flöte zu tarnen. Mit dieser Erwartung wird im zweiten Teil gespielt. Der Zuschauer ist plötzlich verunsichert, ob die Stimme nicht doch zwischen den ruhigen Bläsern zu hören ist oder nicht. Der Gesamtklang wird instabiler, psychedelischer. Erst ganz am Ende schält sich die Stimme alleine hervor.

Eine ganz andere Richtung schlug Shadow Art II des Australiers Paul Clift ein. In dem Duett zwischen Flötistin Kristjana Helgadóttir und Gunnhildur Einarsdóttir (eigentlich Harfistin, hier Sängerin) wurde explizit mit Texten gearbeitet. Über pathetischen digitalen Drones und echogetränkten Flötenarpeggi rezitierte Einarsdóttir verzerrte Texte von Jack Spicer, Heinrich von Kleist und Petrarch. Der Komponist zielt auf Assoziationen zu Messen des 19. Jahrhunderts, auch mit modalen Gesangslinien. Ob die Bedrohlichkeit so gewollt war? Die durch Effekte entmenschlichte Stimme machte auch die Texte eher bedrohlich als erhaben. Letztendlich war die Flöte das menschlichste Element im ganzen Stück. Die Uraufführung einer Version von Shedding Waste sorgte für Aufflockerung vor der Pause. Dennis Sullivan hat sein Tenorsaxofon/Percussion Stück extra für Adapter für Schlagzeug und Bassklarinette adaptiert (no pun intended). Der Percussionist Matthias Engler quietschte virtuos mit einem Geigenbogen auf Styroporblöcken, einem Schneebesen und Wassergläsern, schlug zwischendurch auf verbeulten Gongs und musste mit Ingólfur Vihjálmsson krächzen und stöhnen. Mit seinem straffen Rhythmus und starker Performativität erinnerte das Stück an die absurderen Erzeugnisse der 60er Prozesskunst wie John Cages Water Walk, bloß mit einem stärkeren Fokus auf einzelne Klangfarben. Der Text war dabei kaum zu verstehen, aber das war vom Komponisten gewollt. Ein Highlight des Abends!

Nach der Pause ging es mit einer „Versuchsanordnung für vier Sprechende“ weiter. ÄHM ME, HM [I], AND M der Schweizerin Barblina Meierhans ließ die Sprechenden leere Blätter umherwerfen und sich dabei mit Wortspielen wie „Yes – Yesterday“ ins Wort fallen. Die Musikerinnen setzten das zwar präzise um, aber das Stück hinterließ wenig Eindruck.

Der Abend schloss mit einer weiteren Uraufführung von Petros Ovsepyan. Kissed forderte wieder Flöte, Klarinetten, Harfe und Schlagzeug und nebenbei mussten die Musiker*innen auch noch ihre Stimme benutzen. Das Stück beginnt mit Atem, tonlosen Bläsern und sanften Zupfen der Harfe. Das Schöne an Livemusik ist ja im Gegensatz zu den endlosen Streams der vergangen Monate, dass man auch den hypnotischen leisen Tönen seine volle Aufmerksamkeit widmet und nicht nervös weiterscrollt. Besonders Engler und Helgadóttir beim Singen und Spielen gleichzeitig zuzusehen war beeindruckend. Im letzten Teil wurden die Stimmen zunehmend aggressiver, bis das Stück in einem Krächzen endete.

Krächzen, singen, hauchen, stöhnen, sprechen, schreien – die menschliche Stimme ist vielleicht doch das vielseitigste Instrument. Das sieht man auch daran, dass Schreibende letztendlich doch immer in Stimmenmetaphorik zurückfallen, sobald es um die klanglichen Qualitäten eines Instruments geht. Schön war es, dieser Vielfalt mal wieder im Original zu lauschen.