»Die Räume fangen an zu atmen.« Boram Lie und Volker Hormann über »Tanz den Tanz«

Am 18. und 25. September wird das Solistenensemble Kaleidoskop im Rahmen des Monats der zeitgenössischen Musik in der Sammlung Hoffmann das Programm »Tanz den Tanz« aufführen. Es wird in mehrerlei Hinsicht eine besondere Veranstaltung. Wie schon in der Vergangenheit werden in der von Erika Hoffmann bewohnten Sammlung die Kunstwerke und Kompositionen von etwa Hildegard von Bingen oder Meredith Monk in Wechselwirkung miteinander erlebbar. Gleichzeitig handelt es sich um einen Abschied, denn die Kunstwerke gehen im nächsten Jahr als Schenkung an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden über. Boram Lie und Volker Hormann vom Solistenensemble Kaleidoskop über den Dialog mit der Kunst, ihre Geschichte mit der Sammlung Hoffmann, Neuanfänge und Abschiede.

Das Wort »Dialog« kommt immer wieder auf, wenn Erika Hoffmann über das Kuratieren spricht, aber auch ihr greift es auf. Wie setzt ihr euch zu den Kunstwerken in Verbindung?

Volker: Wann immer man Kunst macht oder rezipiert, tritt man in eine Art Dialog. Unsere Idee ist es nicht, die Werke zu kommentieren. Stattdessen wollen wir etwas schaffen, das etwas Eigenes ist, in sich geschlossen – ein Rundgang. In dessen Rahmen kann zwischen der Kunst auf der einen und der Musik auf der anderen Seite, während man sich dazwischen wiederfindet, ein Dialog oder ein Spannungsfeld entstehen. In diesem Aufeinandertreffen passiert etwas, es geht ein Raum auf.

Boram: Wir haben uns vorab die Einrichtung der Sammlung Hoffmann angeschaut und ein Gefühl für die Ausstellung entwickelt. Es ist keine vollgestopfte Einrichtung, die in erster Linie die Kunstwerke zeigt, sondern vor allem die Räume als solche. Die Räume fangen an zu atmen. Deshalb haben wir überlegt, wie wir diese Räume bespielen können – wie wir dort ein Konzert veranstalten können, das ebenso diesen Spirit hat und das viel Platz für Begegnung mit den Kunstwerken und der Musik lässt. Die aktuelle Einrichtung heißt »Tanz den Tanz«. Es handelt sich auch um einen Abschied, aber einen, der ins Offene geht und der die Besucher*innen fast fröhlich und mit einer gewissen Leichtigkeit entlässt.

Die Veranstaltung ist als »Konzertinstallation« beschrieben. Was bedeutet das?

Boram: Die Sammlung Hoffmann erstreckt sich auf zwei Etagen. Pro Etage wird es einen konzertanten Teil geben, zu dem die Zuhörer*innen klanglich hingezogen werden. Ansonsten sucht sich das Publikum selbst seine Wege und entdeckt, begleitet von einem Gesangstrio, immer wieder auch parallel spielende Stücke zwischen den Kunstwerken. Die drei Frauenstimmen des Trios beziehen sich als einzige explizit auf Werke der Sammlung, nämlich auf drei Fotoserien von Rineke Dijkstra und Manabu Yamanaka, die in Triptychen Frauenbilder unterschiedlichen Alters zeigen. Die drei wandelnden Stimmen werden sich ebenso mit den anderen Stücken verweben, mal nah dran gehen oder weit entfernt sein, und so Bewegung in die Konzertinstallation einbringen, sie durchwandern.

Nach welchen Kriterien habt ihr die Musikstücke ausgewählt?

Boram: Es gibt zwei inhaltliche Schwerpunkte: Werke von Komponistinnen und Werke, die sich mit Zeitlichkeit beschäftigen. Wir spielen zum Beispiel ein Streichquartett der Komponistin Sky Macklay, welches sich nur um Kadenzen dreht. Ein anderes Stück von Claude Vivier, »Learning für 4 Violinen«, besteht aus 15 Melodien, die immer wieder neue Anfänge zelebrieren.

Wie hat sich eure Beziehung zu Erika Hoffmann und ihrer Sammlung über die Jahre gestaltet?

Volker: Wir sind Erika Hoffmann bereits in unseren Anfangstagen begegnet, als eine ihrer Mitarbeiter*innen uns im Jahr 2008 einlud, eine Musikinstallation im Souterrain zu gestalten. Dort haben wir, ganz schlicht gesagt, Musikwerke anstatt Kunstwerke live ausgestellt. Erika lud danach uns ein, bei einem ihrer Hauskonzerte zu spielen, was uns durch die dort geknüpften Kontakte viele Türen öffnete. Von da an war sie bei vielen unserer Veranstaltungen; auch bei solchen, zu denen sie nur schwer einen Zugang fand. Letztes Jahr liefen Zuschauer*innen aus dem Saal und riefen »Das ist eine Zumutung!« Erika musste schmunzeln und sagte. das sei eigentlich das größte Lob. Sie wünsche sich immer, dass, wenn sie zu uns kommt, es eine Zumutung wird. Als sie erzählte, dass dieses Jahr das letzte der Sammlung Hoffmann sein wird, habe ich sofort gesagt, dass wir unbedingt noch einmal kommen und spielen müssen.

Wie hat sich das Solistenensemble Kaleidoskop während diesen Jahren der Freundschaft entwickelt?

Boram: Es gibt ein Stück, »Zipangu« von Claude Vivier, das uns schon seit 15 Jahren begleitet und bei unseren Konzerten in der Sammlung oft eine Rolle gespielt hat. Die wiederkehrende Arbeit an diesem Werk verdeutlicht über die Jahre hinweg, wie wir uns mit der Zeit als Ensemble entwickelt haben – aber auch, dass es ein Gemeinschaftsgefühl gibt, das sich erhalten hat und uns immer wieder als Ensemble verbindet. Dieses Programm zeigt auch, dass wir jetzt mehr Mut zur Lücke haben. Früher war der erste Impuls immer, so viele Stücke wie möglich aus dem Repertoire zeigen zu wollen. Diesmal haben wir uns explizit dagegen entschieden und eine sehr bedachte Auswahl getroffen. Das war nicht leicht. Es hat vielleicht mit dem Erwachsenwerden zu tun, dass wir uns besser auf das Wesentliche konzentrieren können.

Volker: Das letzte Mal waren wir 2016 in der Sammlung Hoffmann und auf den Bildern ist dieser Drang klar zu erkennen: Alles muss bespielt, alles ausgereizt werden. Heute sind wir sparsamer mit der Musik. Die Ausbildung als Berufsmusiker*in und die damit verbundenen Schwierigkeiten, die Instrumente sowohl als Ausdrucksmittel aber auch als Gefängnis wahrzunehmen – all das haben wir für uns schon immer thematisiert, uns daran teilweise auf der Bühne abgearbeitet und uns dabei auch immer wieder von den Instrumenten gelöst. Das hat uns eine andere Freiheit gegeben. Das macht es jetzt sehr lustvoll, Stücken, die einem eigentlich schon zum Hals raushängen sollten - wie eben das von Vivier - mit einer neuen Haltung zu begegnen.

Immer wieder begegnet mir die Aussage, Künstler*innen sollten nur Dinge tun, wenn sie sicherstellen können, dass sie auf einem professionellen Niveau liefern können. Ihr sprengt hingegen regelmäßig die Rollenzuschreibungen der klassischen Instrumentalist*innen.

Boram: Ich habe das Gefühl, dass wir schon ein paar Schritte weiter sind. Ich sehe es als Stärke, dass wir Dinge ausprobieren und darin vielleicht Qualitäten entdecken, die anders interessant sind – vielleicht »unprofessioneller«, aber spannender. Das Ensemble ist von einer fruchtbaren Spannung geprägt: Immer wieder werden Grenzen ausgelotet und doch wissen wir gleichzeitig genau, woher wir kommen und arbeiten weiter an der musikalischen Qualität.

Volker: Ich habe diese Dogmen immer als sehr befremdlich empfunden. Die Stimme ist die Grundlage jeglichen Musikmachens und wir verwenden sie in unseren Performances, obwohl wir keine ausgebildeten Sänger*innen sind. Das passiert auch vor dem Hintergrund von Ansätzen und Methoden aus anderen Kunstformen. In anderen Genres ist das ja gang und gäbe. Die Einengung eines vorgeblichen »professionellen Niveaus« in der klassischen Musikwelt empfinden wir immer als etwas hinderlich. Die Rollenzuschreibungen sind hier doch manchmal recht statisch und rückwärtsgewandt.

Das Interview führte Lara Bäucker.