Bericht von Tomomi Adachi
Ich nehme an, dass meine derzeitige Situation nichts Besonderes ist, genau wie die anderer in Berlin. Nur eine Folge von Absagen von Auftritten. Ich definiere mich als Künstler. Wir können als Künstler*innen nichts für die Krise tun. Künstler*innen sind keine Ärzt*innen. Daran ist nichts verkehrt, aber ich bin nicht froh zu wissen, dass ich mein Leben als Künstler in dieser Situation unterbrechen muss, wie Reisen, unbekannte Menschen treffen und mit Menschen zusammenarbeiten. Soziale Distanzierung und Grenzschließung stehen dem Wesen meiner künstlerischen Aktivitäten entgegen. Auch für die nahe Zukunft nach der Krise bin ich nicht optimistisch. Ich befürchte, dass das Schließen von Grenzen, soziale Distanzierung und Politik des Notstands fortdauern und Nationalismus und Rassismus zumindest kurzfristig stärken werden. Die gegenwärtige Situation ist für alle schwierig, destabilisiert aber insbesondere die Position von uns Nicht-EU-Bürgern, obwohl ich denke, dass Berlin immer noch einer der besseren Orte ist. Ich glaube, dass ausländische Künstler*innen viel zur experimentellen Musikszene in Berlin beitragen. Ich bin etwas besorgt, ob ich mein freiberufliches Visum für das nächste Mal verlängern kann. Wir wissen nicht, wann der Beruf der freiberuflichen Künstler*in wieder existiert.
Ich denke, Distanzieren / Berühren wird eines der Schlüsselkonzepte der Post-Corona-Kunst. Berühren wird nach dieser Krise nicht die gleiche Bedeutung haben. Wir müssen eine andere Bedeutung finden, um uns von der möglichen Bedeutung des Nationalismus zu distanzieren.
Das Internet ist kein Ersatz für physischen Kontakt. Ich habe viele Live-Streams gesehen, sie haben eine Qualität und es ist sinnvoll, dass Künstler*innen ihre Präsenz zeigen und ihre Kreativität am Laufen halten. Aber ich denke, die Form ist nichts, was ich für die Kunst brauche. Wir müssen eine andere Form erfinden.
Wie auch immer, wir können mit dem weitermachen, was wir jetzt tun können. Künstler*in zu sein ist für mich im Wesentlichen unabhängig davon, wie die Gesellschaft ist. Ich weiß, dass viele Künstler*innen dem nicht zustimmen. Das ist eher mein Wunsch. Franz Kafka schrieb sinngemäß in seinem Tagebuch: »Am Morgen wurde der Krieg erklärt. Am Nachmittag ging ich schwimmen.« Obwohl unsere Situation überhaupt kein Krieg ist, mag ich die Einstellung. Ich denke, es ist eine Akzeptanz der Schwäche der Kunst, Kunst ist machtlos, dann können wir immer noch einen Raum für Kunst finden.
Zuletzt füge ich einige meiner Ideen für Musiker*innen in dieser Isolationsphase hinzu. Die meisten habe ich bereits auf Facebook veröffentlicht:
-
Betrachten wir die Möglichkeiten von keinem Publikum, kein Streaming, keine Aufnahmen von Konzerten (auch mit Eintritt).
-
Lasst uns Instrumente entwickeln, die man spielen kann, ohne sie zu berühren. Ich erinnere daran, dass dieses Jahr der 100. Jahrestag der Erfindung des Theremins ist (ebenfalls 15 Jahre meines Infrarot-Sensorhemdes).
-
Lasst uns »Corona I« für Pianisten oder »Corona II« für Streicher von TAKEMITSU Toru üben. Beide sind recht interessante grafische Partituren vom Beginn der 1960er Jahre.
-
Wir, Sänger*innen, spucken leider immer. Lasst uns neue Techniken zu singen entwickeln, ohne den Mund zu öffnen. Auch nicht atmen, wenn möglich.
-
Betrachten wir die Möglichkeit einer möglichen Performance in einem Krankenhaus.
-
Live-Streaming ohne Player, nur mit Publikum
-
Live-Streaming einer Performance, die bis zum Ende dieser Krise andauert, keine Pause. Dies ist ein Ritual.
-
Live-Streaming vor der Live-Performance
-
Live-Streaming mit Telepathie
Tomomi Adachi 7. April 2020, Berlin