Tunings of the World 2.0: Ein Instrument aus Instrumenten – Carlos Iturralde im Gespräch

Was haben zapotekische Sprachen, Mandarin, ein Cardenche-Lied und ein Baum gemeinsam? Wenig natürlich. Zugleich aber auch sehr viel: Der Komponist Carlos Iturralde nimmt sie in seinem Werk »Portal« als Ausgangspunkt, um Klang und physische Phänomene zu erkunden. Vor der Uraufführung des Stücks am 30. Oktober im Rahmen von »Tunings of the World 2.0« erläutert Iturralde die Ideen, die »Portal« zugrunde liegen.

Dein Stück greift die klanglichen Qualitäten von Sprachen auf. Wie hängt das mit dem Überthema »Tunings of the World« zusammen?

Vor ein paar Jahren habe ich mit Ana María [Rodriguez] über dieses Konzept gesprochen. Es ist sehr weit gefasst und offen für Interpretationen. Die Themen unseres Gesprächs erstreckten sich von verschiedenen Stimmungen bis hin zu Ökologie und Pluralität sowie Klang in ontologischer Hinsicht. Später, als ich anfing, mir das Stück vorzustellen, brachte ich diese Diskussionen in konzeptioneller und physischer Hinsicht mit dem Konzept von Grenzen in Verbindung und das führte mich direkt zu Orten und Sprachen. Ich begann an eine Dimension zu denken, in welcher Grenzen verschwimmen und erinnerte mich dabei daran, dass ich einmal in einer Kirche saß, als sich die Mitglieder einer Blaskapelle trafen, die alle Zapotekisch sprachen. In meinem Kopf begann ich zu spielen und phonetische Ähnlichkeiten mit anderen Sprachen zu finden.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der »unmöglichen Verbindung« zwischen den zapotekischen Sprachen und Mandarin. Du hast das Cardenche-Lied »Al pie de un árbol« (»Am Fuße eines Baumes«) als ein Beispiel für ein musikalisches »Portal« zwischen den Sprachen genannt. Wie genau gelingt das dem Lied?

Ich mache eine Art Collage, die aus verschiedenen mexikanischen Klangelementen besteht, die ich interessant finde: ein Lied, Instrumente, eine Sprache. Sie haben alle sehr wenig miteinander zu tun, vielleicht fast so wenig wie Mandarin und Zapotekisch. Ich brauchte ein Element, das alles miteinander verbindet. Phonetische Ähnlichkeiten stellten die erste Verbindung her, und das Lied lieferte die Vision eines Baumes als Portal und wurde später zu einem Vehikel, das ich für geeignet hielt, mich zu dem Objekt zu bringen, das es ursprünglich inspiriert hatte. Es schien sich ein Kreis zu schließen.

Wie überträgst Du diesen Ansatz auf Dein eigenes Stück?

Wohl durch die Aneignung oder Intervention all dieser Elemente in meiner fiktiven Erzählung und durch meine Faszination für viele Klangelemente.

Das Stück arbeitet auch mit Stimmungen, Mikrotonalität und Klang als physikalisches Phänomen. Was macht die Arbeit mit diesen Registern im Kontext von »Portal« so interessant für Dich?

Das erste Mal, dass ich Cardenche-Musik hörte, war ich etwa 16 Jahre alt. Ein Lehrer von mir, der aus Nordmexiko stammt, hatte eine Kassette, und ich war sofort fasziniert von der Klangfarbe, die ich später sehr stark mit Stimmung in Verbindung brachte. Ich habe nicht alle Lieder des Albums eingehend studiert, und ich weiß nicht, wie konsistent die Stimmung dieser Gruppe ist, wenn sie live auftritt. Aber zumindest diese eine Aufnahme hat ein bestimmtes Timbre, das, soweit ich gehört habe, bisher niemand nachahmen konnte. In den meisten Arrangements wird es in gleichschwebend temperierter Stimmung umgesetzt, was viel von dem, was daran interessant ist, zunichte macht. Ich versuche nicht, einem Genre gerecht zu werden oder so etwas; ich nehme diese Elemente aus ihrem Kontext und gehe von einer Art Nachahmung aus, um mich selbst darin zu finden. Da sind also das Lied und seine Klangfarben und da ist der Baum; ein Baum, der auch Instrumente aus Nordmexiko enthält, Instrumente, die den Mund als Filter benutzen. Der Baum ist letztlich ein Instrument, ein Instrument, das teilweise aus Instrumenten besteht. In seinem Inneren befindet sich ein Mikrofon, das die Resonanz des Baumes einfängt und das wir als Feedback hören können. Diese beiden Elemente sind meiner Meinung nach eher als physische Phänomene denn als eine Art von Musik zu verstehen.