Feature : Au Topsi Pohl
Das Au Topsi in der Schöneberger Pohlstraße ist seit seinen Anfängen im Jahr 2019 ein besonderer Ort. Besonders ist das Konzept, pro Woche einem*r Musiker*in die Kuration zu übertragen um fünf Konzerte zu konzipieren oder zusammen zu stellen, besonders ist aber auch die Atmosphäre, wenn Menschen, die für ihre Sache brennen, einen solchen Ort betreiben.
Und besonders ist nicht zuletzt die Organisationsform des Ganzen. Die Protagonist*innen sind Veronica Tolosa und die Weinimporteurin Laura Sanson, die sich um die Bar kümmern und neben ihrer Expertise in Sachen gute Getränke schon lange als Hörerinnen und Veranstalterinnen guter Improvisationsmusik eng verbunden sind. Die Kuration liegt in den Händen der beiden Bassisten Joel Grip und Antonio Borghini, Mara Oricchio und die Schauspielerin Franziska Hoffmann sind verantwortlich für viele organisatorische Details. Alle Bereiche und Aufgaben greifen ineinander, Seele und Gesicht des Au Topsi sind die eines Kollektivs.
Der Anfang stand die Frage einer damals noch unter dem Namen Isotop firmierenden Bar im Wohnhaus von Joel Grip, ob er dort vielleicht Konzerte veranstalten könnte. Kurz danach eröffnete sich die Möglichkeit, den Betrieb der Bar ganz zu übernehmen. Schnell gab es 250 Konzerte in zwölf Monaten und ein Programm, was es an Kaliber sofort mit einigen europäischen Festivals für zeitgenössische Improvisationsmusik und Jazz aufnehmen konnte.
Viele Ideen kommen beim Au Topsi zusammen: Da ist der Wunsch, einen Ort zu haben, an dem man seine Musik regelmäßig und kontinuierlich aufführen kann. Mehrtägige Residenzen, im Jazz noch bis in die achtziger Jahre hinein die Regel, sind mittlerweile selten, aber sie geben den Künstler*innen die einmalige Gelegenheit eines Probier- und Transformationsfeldes, mit der besonderen Herausforderung, das am gleichen Ort zu tun und eventuell sogar vor ähnlichem Publikum.
Borghini und Grip haben mit dieser konstanten künstlerischen Entwicklungsarbeit auch über den seit dem Jahr 2017 regelmäßig jede Woche stattfindenden Klub Demboh Erfahrung, einem offenen Kollektiv zwischen experimentellem Jazz, Dada und Improv-Theater. Aus dieser langfristigen gemeinsamen Arbeit heraus entstehen immer besondere Dinge und Energien – vergleichbar in Berlin ist zum Beispiel das Kollektiv Ominversal Earkestra, das sich über viele Jahre mit wöchentlichen Konzerten einen eigenen Sound und ein eigenes Publikum erspielt hat.
Weiterhin ist das Au Topsi die Homebase für Topsi unter Haltung, sozusagen die hauseigene Kompanie, bestehend aus Joel Grip (Kontrabass, Stimme), Izumi Ose (Klavier), Hogir Göregen (Percussion, Stimme), Prune Bécheau (Violine, Stimme), Marie Takahashi (Bratsche, Stimme), Anil Eraslan (Cello, Stimme), Antonio Borghini (Kontrabass, Stimme) und Franziska Hoffmann (Violine, Stimme). Die »Marsmusik – KneipenOper« wurde vom ersten Lockdown unterbrochen, aber die Kompanie prämierte zwei »Ap Lla«-Zeremonien beim Berlin Jazzfest 2020, die noch auf arte nachzuschauen sind. »Ap Lla« ist eine »graphonogestische« Sprache, entworfen von Joel Grip.
Das Au Topsi bietet den jeweils residierenden Künstler*innen und Bands auch einen Ort, um tagsüber zu proben. Und dann ist da noch das Artwork von Joel Grip, das nicht nur die Projekte von Topsi unter Haltung visuell begleitet, sondern auch jedes Wochenprogramm illustriert. Glücklicherweise ist es mittlerweile in Form von Postkartensammlungen auch käuflich zu erwerben.
Besonders sind also die Mission und der hohe Anspruch, die das Au Topsi mitterweile auch in den schwierigen Zeiten der vergangenen anderthalb Jahre umsetzen konnte – ein Ort zu sein, wo nicht nur Musiker*innen zusammenkommen, gemeinsam entwickeln, forschen und feiern, sondern durch die Art der Präsentation und Gastlichkeit auch ein Ort, an dem ein Publikum schnell das Gefühl hat, an diesem Gesamtkunstwerk teilzuhaben, anstatt ihm nur beizuwohnen. Vor dem ersten Lockdown gab es bereits ein Stammpublikum, das in jeder Woche zwei, dreimal kam, insgesamt fasst der Club maximal 60 Personen.
Besonders ist nicht zuletzt aber auch die Energie, die in den Ort gesteckt wird und die gleichermaßen von ihm ausgeht – während der Lockerungen am Ende der letzten Schließzeit entwickelte das Au Topsi sich zu einem Outdoor-Plattenladen mit angehängter Bar. Grip gehört mit zur Berliner Sektion des Labels Umlaut Records und hier kommt auch der Toningenieur und Produzent Alexis Baskind ins Spiel, offiziell beauftragt mit der neuen Topsi Series auf Umlaut Records. Verkauft werden Platten aus der neuen Reihe auf Umlaut, aus dem regulären Katalog des Labels, aber auch von Künstler*innen aus dem weiteren Topsi-Kreis. Außerdem gibt es einen Austausch mit dem Londoner Café Oto: Hin und her gingen im Tausch jeweils zehn Kilogramm Schallplatten, eine Art Kreuzbestäubung der Szenen. Mit Venues in Chicago und Italien ist man im Gespräch für weitere solcher Aktionen und will damit Orte präsentieren und repräsentieren, an denen etwas geschieht.
Mittlerweile konnte der Konzertbetrieb wieder – unter den jeweils geltenden Corona-Bestimmungen, versteht sich – aufgenommen werden und geht in die Vollen. Außerdem geht Topsi unter Haltung in der zweiten Julihälfte nach Schweden, um dort zu konzertieren. Hoffen wir, dass es so bleibt und weiterwachsen kann. Au Topsi is different und wir brauchen mehr davon.