»Ich bewege mich im Dazwischen!« Pak Yan Lau über »Bakunawa«
Pak Yan Lau ist unermüdlich darin, sich ihre eigene Nische zu bauen. Ob als Teil der Gruppe Going oder in Kollaboration mit Musiker*innen wie Chris Corsano, Darin Gray oder kürzlich Mette Rasmussen: Die belgische Künstlerin hat in den vergangenen zehn Jahren mit sehr unterschiedlichen Menschen zusammen sehr viele verschiedene Musikstile erkundet. Wer ihre Arbeit verfolgt, wird dementsprechend immer wieder überrascht und doch festgestellt haben, dass Spielzeugklaviere und Gongschlegel darin eine Konstante darstellen. Diese Instrumente und ihre klanglichen Eigenarten inspirierten die Improv-Musikerin zu einer anderen Herangehensweise. Für eine zweiteilige Komposition arbeitete sie mit langjährigen Mitstreiter*innen zusammen, die eigens für die Aufnahmen ein Ensemble bildeten. Lau wird »Bakunawa« am 10. September in der St. Elisabeth-Kirche im Rahmen einer Ausgabe von Kontraklang im Monat der zeitgenössischen Musik präsentieren, bei der auch das Nist-Nah Ensemble von Will Guthrie spielen wird. Zuvor spricht sie über die Entstehung von »Bakunawa«, ihre Beziehung zur Gamelan-Musik und die Arbeit zwischen den Kulturen.
»Bakunawa« nicht das einzige Album mit diesem Titel, das in letzter Zeit erschienen ist. Ein anderes wurde von der experimentellen Opernsängerin White Boy Scream Mitte 2020 veröffentlicht. Bakunawa ist ein Drache aus der philippinischen Mythologie, der Monde frisst. Ziemlich dreist! Was hat dich an diesem Mythos interessiert?
Auf den Titel bin ich erst gekommen, als das Stück schon geschrieben war. In der Sage versuchen die Dorfbewohner*innen zunächst, den mondfressenden Drachen zu beruhigen. Als das aber nicht gelingt, versuchen sie stattdessen, ihn zu verscheuchen. Der erste Teil meines Stücks ist voll von ruhigen, hohen, dröhnenden Klängen; er erzeugt eine Trance und lässt dich das Gefühl für Raum und Zeit verlieren. Der zweite Teil ist rhythmischer, mit gefilterten Spielzeugklavierklängen. Der eine zähmt den Drachen, der andere vertreibt ihn! Als ich sah, dass ein anderes Album namens »Bakunawa« herauskommen würde, war das eine ziemliche Überraschung! (lacht) Beim Hören der Platte wird aber deutlich, dass der Titel und das Konzept zuerst kamen und die Musik darauf aufbaut.
Was war dein ursprüngliches musikalisches Konzept?
Ich spiele schon seit etwa zehn Jahren mit Spielzeugklavieren und Gongschlegeln, in der Regel aber nur als Solistin. In gewisser Weise stellt »Bakunawa« eine Fortsetzung meiner Auseinandersetzung mit diesen Instrumenten dar, wie sie zuerst auf meinem Debüt-Soloalbum »Book of Toys« dokumentiert wurde.
Warum hast du für das Projekt andere Musiker*innen einbezogen?
Weil es mir die Möglichkeit gibt, das klangliche und musikalische Spektrum zu erweitern. Sonst hätte ich mit Overdubs arbeiten müssen, aber das macht keinen Spaß. Dabei sind doch gerade der Spaß und die Energie, die im gemeinsamen Spiel entsteht, sehr wichtig. Ich wollte auch etwas machen, das eher komponiert ist, denn normalerweise improvisiere ich viel. Die Musiker*innen haben zwar gewisse Freiheiten – ich bin trotzdem die Chefin und es ist mein Stück! (lacht)
Neben Vera Cavallin an der präparierten Harfe besteht das Ensemble aus Mitgliedern einer der Gruppen, in denen du spielst, Going.
Ich habe diese Leute mit Bedacht ausgewählt! (lacht) Mit Ausnahme von Vera spielen sie auf Instrumenten, die nicht ihre sind – zwei sind Schlagzeuger, die anderen beiden Pianist*innen. Sie sind aufgeschlossene, großartige Musiker*innen. Da ich schon so lange mit ihnen in Going spiele, brauche ich ihnen nur die rhythmischen Ideen in meinem Kopf zu beschreiben und sie können sie direkt umsetzen. In diesem Sinne sind die Musiker*innen sehr wichtig. Einer der Schlagzeuger wurde durch einen anderen ersetzt, und ich kann den Unterschied bei unseren Performances spüren. Da das Stück jedoch eine feste Struktur hat, ist für alle Beteiligten jederzeit alles klar, auch wenn wir alle gewisse Freiheiten haben und während einer Aufführung ein wenig variieren können. Im Grunde genommen dirige ich das Ensemble, während ich spiele.
Bei dieser Ausgabe von Kontraklang tretet ihr gemeinsam mit dem Nist-Nah Ensemble auf, das zwar Gamelan-Instrumente verwendet, aber nicht wirklich Gamelan-Musik macht. Was ist dein Verhältnis zu Gamelan-Musik?
Es ist ein großartiger Musikstil, der zuletzt viel ausgebeutet wurde. Das liegt auch daran, dass er ganz fantastisch ist, auch ich liebe ihn ja sehr. Es interessiert mich aber nicht, die Musik bloß zu imitieren. Viel eher möchte ich ein bestimmtes Gefühl einfangen. Ich sage gerne, dass ich mich nicht trauen würde, mit echten Gamelan-Musiker*innen zu spielen, weil ich so viel Respekt vor ihnen habe! Die Stimmungen von Gamelan-Instrumenten erzeugen wunderbare Reibungen, all diese Phantomtöne, die ich wirklich liebe. Wenn ich jedoch versuchen würde, das nachzuahmen, würde es schlicht falsch klingen! Da die Spielzeugklaviere allerdings so verstimmt sind, erzeugen sie auch eine Menge Reibung! (lacht) Deshalb würde ich sagen, dass die Musik einen »Gamelan-ähnlichen Touch« hat, aber das ist auch schon alles. Wenn ich das Spielzeugklavier mit einem Ringmodulator spiele, erinnert das natürlich an Gamelan-Musik, weil es sich um ein Metallofon handelt und der Ringmodulator schöne Bassfrequenzen erzeugt. Ich liebe das sehr, aber es ist fake – kein Gamelan! (lacht)
Damit wäre die Verbindung zur Gamelan-Musik also eine eher zufällige. Gibt es dennoch musikalische Bewegungen und Ideen, die du in deiner Arbeit bewusst aufgreifst?
Gamelan-Elemente wie die Dynamiken der Beschleunigung und Verlangsamung sind etwas, das ich sehr liebe und in diesem Stück auf eine subtile Weise eingebaut habe. Ich bin auch sehr stark von Minimal Music beeinflusst – repetitive Musik mit kurzen Motiven. Dann gibt es da noch Drone-Musik, die sich sehr langsam entwickelt. Normalerweise wird sie mit tiefen Frequenzen assoziiert, aber meine Drones sind hochfrequent. Das klingt fast elektronisch, ich beziehe in der Tat eine Menge Inspiration aus der elektronischen Musik. Dazu kommt Ambient- beziehungsweise Umgebungsmusik, also alles, was wir um uns herum hören können. Wir dürfen John Cage nicht vergessen!
Bei dem Namen klingelt was, ja! Was ist dein Verhältnis zu Will Guthrie?
Ich habe ihn schon ein paar Mal live gesehen, und er ist fantastisch. Angesichts der Art und Weise, wie er Polyrhythmen verwendet, ergibt der Gamelan-Vergleich in jedem Fall Sinn.
Das Debütalbum des Nist-Nah Ensemble wurde von Black Truffle veröffentlicht. Darauf folgte eine Aufnahme von zwei Stücken von Dewa Alit, einem indonesischen Komponisten, der mit innovativen Ansätzen für Gamelan-Musik experimentiert.
Was er macht, ist sehr cool! An der Vermischung westlicher Musik mit traditionellen Elementen besteht derzeit ein großes Interesse, aber oft treffen dabei weiße Musiker*innen aus dem Westen auf nicht-weiße, die einen bestimmten kulturellen Hintergrund haben. An Alits Ansatz gefällt mir, dass er tief in der Tradition verwurzelt ist und versucht, seinen eigenen Vorstellungen entsprechend davon ausgehend einen zeitgenössischen Sound zu formulieren. Es wäre toll, mehr davon zu sehen! Gamelan ist für viele westliche Musiker*innen sehr attraktiv, weil die Konzepte von Rhythmus und Klang völlig anders sind als die, mit denen sie aufgewachsen sind. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass diese Musik einer bestimmten Kultur gehört. Für mich selbst ist das ein schwieriges Thema: Ich wurde in Belgien als Kind von Eltern aus Hongkong geboren, und meine Wurzeln sind so gesehen nicht sonderlich tief verwurzelt. Ich bewege mich im Dazwischen! Indem ich versuche, irgendwo hineinzupassen, schaffe ich mir meinen eigenen Lebensraum, meinen eigenen Platz, an den ich gehöre. Und ich glaube, das macht meine Musik ein bisschen sonderbar! (lacht)
Kann es auch ein Vorteil sein, nicht so eng an eine bestimmte Kultur gebunden zu sein?
Es kann befreiend sein, ja. Ich habe zum Beispiel klassisches Klavier studiert und fand die Tradition dahinter immer ziemlich einschränkend – all diese Regeln dazu, wie man eine Bach-Fuge zu hat und so weiter. Wenn man 20 Jahre lang auf diese Weise studiert, wird es zu einem Automatismus. Als ich das Studium abgebrochen habe, konnte ich mich davon lösen. Manchmal schäme ich mich ein bisschen, weil ich nicht so viel über Musik weiß wie andere Leute. Aber es prägt die Art und Weise, wie ich mein eigenes Universum aufbaue: Wann immer ich einen Sound entdecke, der mir gefällt, integriere ich ihn in meine Musik, egal, woher er kommt. Es gibt keine Künstler*innen, als deren Fan ich mich bezeichnen würde. In gewisser Weise ist das vielleicht schade, denn sonst würde ich wahrscheinlich sehr tief in ihr jeweiliges Werk eintauchen. Aber auf der anderen Seite ist es auch befreiend – immerhin versuche ich so nicht, wie jemand anderes zu klingen! (lacht)
Für »Bakunawa« arbeitest du allerdings eher konventionell mit einem Ensemble – als dessen Chefin, wie du es ausgedrückt hast. Was sind deine Pläne für das Projekt?
Im Moment arbeite ich an Keramikinstrumenten. Sollte ich mit denen etwas umsetzen wollen, würde ich dieselben Leute fragen. Es ist toll, »Bakunawa« zu spielen. Man merkt, wie wir mit jedem Konzert besser und eingespielter werden. Wenn ich jedoch ein neues Stück für dasselbe Ensemble schreiben würde, würde ich andere Instrumente verwenden.
Aber du interessierst dich dennoch dafür, mehr als Komponistin zu arbeiten?
Ja, und das werde ich auch! Ich wurde zum KEROXEN-Festival auf Teneriffa eingeladen. Die Konzerte finden in einem ehemaligen großen Gastank statt, der in einen Konzertsaal umgewandelt wurde. Ich wurde gebeten, dafür mit klassisch ausgebildeten Musiker*innen zu arbeiten.
Ist es dir wichtig, dabei auch als Performerin involviert zu sein?
Ja. Ich könnte mit Partituren arbeiten, aber ich möchte mich auf eine Art mündliche Tradition zubewegen – über einen langen Zeitraum hinweg mit einer Gruppe von Leuten arbeiten, proben und mit ihnen sprechen. Jede*r Musiker*in hat eine sehr eigene Art, zu spielen. Wenn die Musik wirklich organisch klingen soll, muss man sich deshalb auf persönlicher Ebene auf sie einlassen.
An »Bakunawa« hast du mit Freund*innen gearbeitet. Das wäre in dem Fall ganz anders.
Ja, und ich habe eine Riesenangst davor! (lacht) Ich versuche herauszufinden, wer sie sind, um zu verstehen, was sie mögen und womit sie sich wohlfühlen. Das wird eine Herausforderung sein. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht läuft es ja auch einfach rund!
Das Interview führte Kristoffer Cornils.